Der Weltwirtschaftsmotor China wird heuer das schwächste Wachstum seit 1999 haben. Finanzexperten sprechen nicht nur deshalb von großen Risken für die Weltkonjunktur.
Frankfurt/Peking. 7,6 Prozent Wirtschaftswachstum wird China, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, heuer vermutlich erreichen. Für Europäer sind derartige Wachstumszahlen Utopie. Wifo-Chef Karl Aiginger etwa glaubt, dass es größter Anstrengungen bedarf, um etwa in Österreich wieder ein Wachstum von zwei Prozent zu erreichen. „Drei Prozent“, meint der Wirtschaftsforscher, „wird es nicht mehr geben.“
In China sind es 7,6 Prozent, und dieser Wert treibt Ökonomen und Wirtschaftsforscher weltweit die Sorgenfalten ins Gesicht. Denn es ist das niedrigste Wachstum seit 1999. Zur Erinnerung: 2007 wuchs die chinesische Wirtschaft noch um 14 Prozent. Für den Aktienstrategen der Deutschen Bank, John-Paul Smith, droht China eine schwere Finanzkrise. In einem am Freitag von der Agentur Bloomberg veröffentlichten Interview betont er, dass Chinas Wachstum durch außergewöhnlich hohe Kredite an die Unternehmen angeheizt sei. „Es gibt die Möglichkeit einer Schuldenfalle bei den Industriefirmen, die bereits im kommenden Jahr eine die gesamte Volkswirtschaft erfassende Finanzkrise auslösen könnte“, sagt Smith.
Chinas Reformen: Nur Versprechen?
Die Prognose des 52-jährigen Finanzexperten hat Gewicht. Denn Smith war es auch, der 1997, damals Stratege bei Morgan Stanley, die Russland-Krise vorausgesagt hatte. In diesem Jahr besuchte er eine Mähdrescherfabrik in Rostow. Dabei wurden ihm die Augen geöffnet. Er sah, dass die Wirtschaft auf tönernen Füßen stand. Ein Jahr später war die Krise da, der Rubel kollabierte, die Börsenkurse verfielen, der Staat stand am Rande eines Bankrotts.
Zurück nach China: Dort wurden erst im November die großen Reformversprechen der Kommunistischen Partei international bejubelt. Beschlossen wurden unter anderem die Öffnung des Finanzsektors, ein Ende der staatlich festgelegten Preise, eine transparente Wechselkurspolitik, mehr privates Unternehmertum und vieles mehr. Auch Smith vernahm diese Reformversprechen.
Kritik an lockerer Geldpolitik
Er ist aber, was die Umsetzung betrifft, skeptisch. „China ist kein so sicherer Hafen, wie die meisten Marktkommentatoren anscheinend glauben“, sagt er und betont, dass das Schicksal der chinesischen Wirtschaft nicht von den politischen Eliten, sondern vielmehr „auf der Mikroebene“ entschieden werde.
Auch der Ökonom Dennis Snower, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, meinte am Freitag im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur DPA: „Wir haben die Möglichkeit einer weiteren Finanzkrise nicht gebannt.“ Eines der größten Risken für die globale Wirtschaft sei die vielerorts extrem lockere Geldpolitik. Dadurch seien die „Anreize bei den systemrelevanten Finanzinstituten“ nach wie vor gegeben, weiter in guten Zeiten Gewinne einzustreichen und sich in schlechten darauf zu verlassen, dass der Steuerzahler sie rettet. Snower spricht zwar nicht von einem Einbruch im nächsten Jahr. „Aber die Unsicherheit ist groß.“
Auch einer der größten Kritiker einer allzu lockeren Geldpolitik, der Präsident der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, meldete sich wieder zu Wort. In einem Interview mit der „Bild“ warnte er neuerlich vor dauerhaft niedrigen Zinsen. Die derzeit niedrige Inflation dürfe „kein Freibrief für beliebige geldpolitische Lockerungen sein“, betonte Weidmann, der auch im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) sitzt.
In der Eurozone wird 2014 ein Wirtschaftswachstum von 1,1 Prozent erwartet, in Österreich sind die Wirtschaftsforscher mit viel Optimismus ans Werk gegangen: Sie rechnen mit einem Plus von 1,7 Prozent. (hof)
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2013)