Anwalt: „Unfassbar, was sich die öffentliche Hand erlaubt!“

Im Fall Gurlitt mehren sich die Stimmen, die diese Affäre nicht für einen Kunst-, sondern für einen Behördenskandal halten.

Herbert Giese ist mit seiner Ansicht, dass es im Fall Gurlitt Rechtsverletzungen gab, nicht allein. Viele Juristen bezeichnen die Beschlagnahmung und Veröffentlichung der Privatsammlung als nicht rechtmäßig.

Der Berliner Rechtsanwalt und Kunstexperte Peter Raue forderte zuletzt die Veröffentlichung aller 1300 oder 1400 Bilder (die Angaben schwanken) der Gurlitt-Sammlung im Internet. Man wisse nicht, nach welchen Kriterien Bilder auf www.lostart.de bisher veröffentlicht wurden und andere nicht. „Dieses Geheimverfahren ist der eigentliche Gurlitt-Skandal, nicht die Tatsache, dass der schrullige alte Mann auf seinem Hort sitzt“, erklärte Raue im Magazin „Art“: „Was sich die öffentliche Hand erlaubt, ist unfassbar!“

Cornelius Gurlitt, am 28.12.1932 in Hamburg geboren, Sohn von Hildebrand Gurlitt (1895–1956), der einer der vier Kunsthändler Adolf Hitlers war, wurde zuletzt Mitte Dezember von der Polizei gestört. Diese drang in seine Münchner Wohnung ein, um herauszufinden, ob mit dem herzkranken 82-Jährigen etwas nicht in Ordnung sei. Verwandte hatten sich Sorgen gemacht. Die Beamten ließen die Wohnung von der Feuerwehr öffnen und trafen Gurlitt „wohlauf und mit Ohrenstöpseln an“, wie sie anschließend zu berichten wussten: Er habe geruht.

Die Spekulationen über seine Sammlung gehen munter weiter: Fast 600 Bilder stehen im Verdacht, NS-Raubkunst zu sein, heißt es. Bei ca. 400 Werken könnte es sich um solche handeln, die von den Nationalsozialisten als „entartete Kunst“ diffamiert und aus deutschen Museen entfernt wurden. Der frühere Kulturstaatsminister Michael Naumann forderte den deutschen Bund auf, ein wirkungsvolles Restitutionsgesetz zu erlassen. Natürlich würde es schwer werden, so Naumann, Verjährungsfristen rückwirkend aufzuheben. Doch gehe es darum, die Diskussion um zu restituierende Kunst zu beenden, vor allem aus Museen.


Cornelius Gurlitt wehrte sich. Österreich hat seit 1998 das einzige klare Gesetz zu diesem Thema: Dieses gilt aber nur für öffentliche Sammlungen, Landessammlungen zogen mit Rückgaben nach. Bereits im November hat Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) ein Gesetz gefordert, wonach Besitzer von NS-Raubkunst nicht mehr in jedem Fall geltend machen können, dass Herausgabeansprüche früherer Eigentümer nach deutschem Recht nach 30 Jahren verjährt sind. Das Gesetz sollte rückwirkend gelten. Andere namhafte Juristen sprachen sich gegen eine „Lex Gurlitt“ aus.

Begonnen hat die Affäre im November mit einem „Focus“-Bericht. Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat die Bilder bereits im Februar/März 2013 beschlagnahmt – wegen „eines dem Steuergeheimnis unterliegenden strafbaren Sachverhalts“. Cornelius Gurlitt erklärte, alle Kunstwerke seien von seinem Vater rechtmäßig erworben und an ihn vererbt worden. An eine freiwillige Rückgabe denke er nicht. (bp)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2013)

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