Moskau betreibt für die Sicherheit bei den Olympischen Spielen einen hohen Aufwand. Doch andere Regionen sind nicht so gut geschützt – Terroristen könnten das ausnutzen.
Wien/Moskau/Sotschi. Es war eine seltsame Mischung aus Stolz und Scham, die ein Sprecher des russischen Organisationskomitees in Sotschi an den Tag legte, als er bei der Besichtigung des Biathlonstadions im Oktober kurz Einblick in das Innenleben der Spielstätte und damit des Landes generell gab.
Nicht nur die moderne Ausstattung des Stadions besteche im internationalen Vergleich, sagte er. Auch die Sicherheitsvorkehrungen gegen Terroranschläge würden ihresgleichen weltweit suchen; konkret müsse die Bauleitung für jeden Quadratmeter Bauabschnitt des Stadions mit ihrer Unterschrift bezeugen, dass keine Zeitbombe eingebaut sei. Meterhohe Stapel von Papieren also als Garanten für einen reibungslosen Ablauf der Spiele am unruhigen Kaukasus.
Auch im Olympischen Dorf, das von der österreichischen Strabag in Kooperation mit dem russischen Konzern „Basel“ errichtet worden war, machte sich zuletzt Nervosität breit. Mit der Abnahme der Anlage durch das Organisationskomitee war auch hier die Übernahme der Sicherheitsgarantie verbunden. Feilschen um Unterschriften, wer was verantwortet angesichts eines Großevents, den die Terroristen am Kaukasus als Anlass und Ziel ihrer Attacken ausgegeben haben.
Anschläge nur Ablenkungsmanöver?
Möglich, dass Doku Umarow mit seiner Ankündigung, die Olympischen Spiele „mit allen Mitteln“ verhindern zu wollen, nur an seine Existenz erinnern wollte. Nicht auszuschließen freilich auch, dass es noch schlimmer komme und die beiden Attacken in Wolgograd nur ein Ablenkungsmanöver vor einem großen Anschlag seien, wie Andrej Soldatow, Chef der Moskauer Plattform Agentura.Ru zur Erforschung der russischen Geheimdienste, auf Anfrage erklärt: „Das wäre das schlimmste Szenario.“
Es habe früher ähnliche Fälle gegeben, als etwa vor der blutigen Geiselnahme in der Schule von Beslan im September 2004 ein Anschlag auf zwei Flugzeuge stattfand. Ein großer Schlag müsse nicht in Sotschi passieren, wo alles an Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden sei. Er könne irgendwo in Russland passieren, schließlich sei die Aufmerksamkeit der Welt bis zum Ende der Spiele Ende Februar auf das größte Land der Welt gerichtet. „Für Terroristen eine angenehme Situation“, meint Soldatow.
Die extensiven Sicherheitsmaßnahmen erschweren Aktionen von Terroristen in Sotschi: 42.000 Polizisten sind in der Schwarzmeerstadt und in ihrem gebirgigen Hinterland im Einsatz, zusätzlich 10.000 Mann der Sondertruppen des Innenministeriums und 23.000 Mitarbeiter des Katastrophenschutzministeriums, wie ein Bericht von Radio Free Europe darstellt. Wie viele Mitarbeiter der Inlandsgeheimdienst FSB und der Militärgeheimdienst GRU entsendet hätten, ist laut Journalist Soldatow nicht bekannt.
Zudem wäre eine Operation in Sotschi und Umgebung praktisch Neuland für die Terroristen – und daher ebenfalls risikoreich. Außer Kämpfer sind bereits in das Krasnodarer Gebiet, in dem auch Sotschi liegt, eingesickert. Grundsätzlich aber sind Ortschaften, „in denen keine Spiele stattfinden, einfachere Ziele als Sotschi“, ist auch Aleksej Filatow, ein Mitglied von Russlands Antiterroreinheit Alfa überzeugt. „Die Sicherheitsmaßnahmen sind in Sotschi hochgerüstet worden. Terroristen werden daher eher in nahen Städten wie etwa Wolgograd zuschlagen.“
In der Tat ist der Rest des Landes weniger gut geschützt als Sotschi. „Was die Wettkämpfe betrifft, sind alle notwendigen Sicherheitsmaßnahmen getroffen. Zusätzliche Schritte werden nicht unternommen“, sagte auch der Chef des Nationalen Olympischen Komitees Russlands, Alexander Schukow, am Montag.
Überwachung von Handys und Netz
2010 hat der Staat mit dem Aufbau des Sicherheitssystems in und um Sotschi begonnen. An Technik wurde alles aktiviert, was dem neuesten Stand entspricht. Der russische Geheimdienst FSB ist laut Soldatow in der Lage, Telekommunikation und Internetgebrauch von Besuchern in Sotschi zu überwachen.
Selbst der Einsatz von Drohnen zur Überwachung – bei den Spielen 2012 in London von den Briten nicht zugelassen – wurde genehmigt. Kritiker führen seit Langem ins Treffen, dass es oft nicht mehr um die Abwendung von Anschlägen, sondern um eine Kontrolle und „Totalüberwachung“ gehe, wie man sie auch bei den Olympischen Spielen 1980 in der damaligen Sowjetunion praktiziert habe. Soldatow nennt als Beispiel die Gründung einer „Datenbank für Personen, die zum Extremismus neigen“. Hier würden Ressourcen gebunden, die anderweitig effizienter eingesetzt werden könnten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2013)