Wie nachhaltig ist Nachhaltigkeit?

Tourismus, Fischfang, ja sogar Beratung: Alles soll nachhaltig sein. Aber was heißt das denn überhaupt?

Sie ist der neue Star unserer Zeit – die Nachhaltigkeit. Wirtschaft, Politik, Gesellschaft – egal, woran wir denken, vieles soll jetzt nachhaltig werden. Unternehmen legen Nachhaltigkeitsberichte in Buchstärke vor, und in kaum einer politischen Rede darf der Ausdruck „Nachhaltigkeit“ fehlen; für Kaffeekapseln, Autos oder Investmentfonds wird das Attribut „Nachhaltigkeit“ ebenso proklamiert, wie für Bildung, Beratung, Fischfang oder Tourismus.

Kurzum: Für fast jeden Lebensbereich gilt es Maßnahmen, Produkte und Dienstleistungen als nachhaltig auszuweisen. Die Nachhaltigkeitsindustrie, die Heerscharen von Beratern in die Unternehmen pilgern lässt, ist milliardenschwer. Man muss fast den Eindruck haben, dass wir uns endlich besonnen und auf den Weg gemacht haben unser Treiben in dieser Welt nachhaltig zu machen.

Schade nur, dass bei all der Diskussion um Nachhaltigkeit die wichtigsten Fragen einer tiefenscharfen Analyse harren: Was genau bedeutet der Begriff der Nachhaltigkeit – oder mit anderen Worten: Worauf lässt er sich sinnvoll anwenden? Was heißt es, wenn wir sagen, dieses Produkt, jenes Konzept oder unser eigenes Handeln sei nachhaltig?

Definitionsproblem

Könnte es heißen, die anstehenden Probleme so zu lösen, dass die Zahl der neuen Probleme, die aus den Lösungen der bestehenden erwachsen, minimiert wird, oder bedeutet es gar, neue Probleme gänzlich zu verhindern? Können menschliche Handlungen überhaupt nachhaltig sein, oder trifft das eher auf die Folgen solcher Handlungen zu?

Führt Nachhaltigkeit immer zu vorteilhaften Effekten, oder gibt es auch nachteilige? Wie lange muss denn etwas nachhalten, damit sinnvollerweise von Nachhaltigkeit gesprochen werden kann? Zehn Jahre, zwanzig Jahre, hundert Jahre oder gar ewig? Und auf welche Weise ließe sich dies überprüfen?

Und dann wäre da noch die Frage zu klären, ob es Nachhaltigkeit in der Welt der Menschen überhaupt geben kann. Aber weder in den einschlägigen Diskussionen und schon gar nicht in den Nachhaltigkeitsberichten der Unternehmen wird der Eindruck erweckt, als hätte man die gestellten Fragen zum Gegenstand einer ernsthaften Reflexion gemacht.

Das liegt vielleicht daran, dass es letztlich schwierige Fragen sind, deren Durchdringung Zeit und durchaus ein wenig philosophischen Geist braucht. Doch daran mangelt es in unserer praxisgetriebenen Gesellschaft.

Wovon reden wir hier?

Solange wir aber nicht einigermaßen genau wissen, wovon wir eigentlich sprechen, wenn von Nachhaltigkeit die Rede ist, ist jedes Bemühen um selbige ziel- und wahrscheinlich auch wertlos. Sie gleicht der Suche nach einem Gegenstand, von dem man nicht weiß, was er ist.

Freilich dürfen die Bemühungen der Nachhaltigkeitswissenschaft nicht unter den Teppich gekehrt werden. Doch dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine praktische und über weite Strecken empirische Disziplin. Für fundamentale theoretische und philosophische Fragen ist da meist kein Platz.

Nichtsdestoweniger fordern wir dazu auf, das zum Teil irrwitzige Treiben im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit kritisch zu bedenken und den Begriff einer ernsthaften Diskussion zuzuführen. Nicht die zweifelsfrei wertvolle Idee der Nachhaltigkeit an sich steht auf dem Prüfstand, sondern der Begriff als solcher, damit diese Idee nicht zu einer Farce verkommt.


Bernd Waß und Heinz Palasser sind Philosophen und Gründer der Academia Philosophia, der Akademie für Philosophie und Schule des Denkens.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2014)

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