Ausschreitungen: Kambodschas streitbare Textilarbeiter

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Der Kampf um existenzsichernde Löhne in den asiatischen Textilfabriken ist noch lange nicht ausgefochten. Doch auch in Italien und in Mazedonien liegt vieles im Argen.

Wien. Seit über einer Woche stehen die Textilfabriken Kambodschas mehrheitlich still. Am Donnerstag gab es erstmals Berichte über gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern, Aktivisten und der Polizei. Mehrere Demonstranten wurden dabei verletzt, laut Militärpolizei wurden mindestens zehn Arbeiter verhaftet. Die Nerven der kambodschanischen Behörden liegen blank. Die Textilproduktion ist der größte Exportsektor Kambodschas. Dieser ist für westliche Modeketten wie Zara oder H  &  M gerade deshalb so attraktiv, weil die Arbeiter mit für europäische Verhältnisse extrem niedrigen Löhnen vorliebnehmen müssen.

Eine kürzlich von der kambodschanischen Regierung veranlasste Erhöhung des Mindestlohnes von 80 auf 95 US-Dollar (70 Euro) im Monat ist den Gewerkschaften zu wenig, sie fordern mindestens 160 Dollar.

Da diese Beschwichtigungsaktion nicht gefruchtet hat, versucht die Regierung die Demonstrationen nun mit Gewalt niederzuschlagen. Die Textilarbeitergewerkschaft will aber hart bleiben und weiter streiken, bis sich die Regierung zu einer neuen Lohnverhandlungsrunde bereit erklärt.

Der „Made in Italy“-Betrug

Nahezu alle Modeketten in Europa und den USA lassen in Billiglohnländern produzieren. Nach Österreich werden laut Daten der Statistik Austria mit Abstand die meisten Textilien aus China importiert (siehe Grafik). 2012 waren es rund 34,9 Millionen Kilogramm zu einem Wert von 930 Mio. Euro. Auch Bangladesch, Indien, Thailand, Malaysia und Kambodscha zählen zu den Hauptexportländern.

Aber auch einige europäische Länder finden sich in der Statistik weit vorn. Deutschland etwa, Italien oder Ungarn. Doch wer davon ausgeht, dass ein „Made in Italy“ im Etikett ein zu fairen Löhnen und unter guten Bedingungen produziertes Kleidungsstück garantiert, täuscht sich. Anfang Dezember machte ein Brand in einer Textilfabrik in der toskanischen Stadt Prato Schlagzeilen.
Sieben Textilarbeiter fanden den Tod, unter ihnen kein einziger Italiener, sondern nur Chinesen. In der beschaulichen Kleinstadt nahe Florenz ist die Textilindustrie mittlerweile nahezu gänzlich in chinesischer Hand. Die Zahl der chinesischen Betriebe wird auf 3000 geschätzt, ein Großteil davon ist illegal und beschäftigt illegale Arbeiter zu Bedingungen, die um nichts besser sind als in chinesischen Fabriken.

Nach dem Brand wurden Stimmen laut, dass man die „Sklaverei“ beenden müsse. Die linke Parlamentssprecherin Laura Boldrini etwa mahnte, Italien riskiere „die schlimmsten Seiten der Globalisierung zu importieren“, wenn man hier tatenlos zusehe. Mittlerweile ist es wieder still um Prato geworden. Geändert hat sich nichts.

„Wie bei schlesischen Webern“

Schon in den 1950er-Jahren klagten deutsche Tuchfabrikanten über eine Absatzflaute, da der deutsche Markt von spottbilligen Streichgarnstoffen überspült wurde – produziert in Prato. Dort, so die westdeutschen Textilfabrikanten laut einem „Spiegel“-Artikel aus dem Jahr 1955, herrschten „ebenso schlimme soziale Bedingungen wie vor hundert Jahren bei den schlesischen Webern im Eulengebirge“. Wurden damals Italiener ausgebeutet, sind es heute Chinesen, die in Italien von chinesischen Fabrikanten ausgebeutet werden.

Der europäische Markt dankt es ihnen, denn die Nachfrage nach in Europa produzierten Textilien steigt: „Der Trend geht zu immer schneller wechselnden Kollektionen. Deshalb versuchen die Händler, Transportwege zu verkürzen, um flexibler zu sein“, sagt Michaela Königshofer von der Clean Clothes Campaign (CCC) in Österreich.

Und nicht nur in Italien gibt es in Europa Missstände. 2012 publizierte Clean Clothes einen Bericht über Mazedonien, wo Textilarbeiterinnen nur 19 Prozent eines existenzsichernden Lohnes erhalten.

Streit ums Existenzminimum

Nur: Was ist ein existenzsichernder Lohn? Im November hat H & M sich in einer Roadmap bis 2018 zur Einführung einer „living wage“ für die Zulieferbetriebe in Bangladesch und Kambodscha verpflichtet. Nur konnte man sich mit den Gewerkschaften bisher auf keine Definition der Existenzsicherung einigen, wie die CCC bemängelt.

In Bangladesch hat sich die Regierung im November – ebenfalls nach längeren Streiks der Textilarbeiter – zu einer Erhöhung des Mindestlohnes von 38 auf 68 Dollar (rund 50 Euro) im Monat durchgerungen. Die Gewerkschaft hatte allerdings 100 Dollar gefordert. Ob man sich auch in Kambodscha wieder verhandlungsbereit zeigt, wird wohl auch davon abhängen, inwieweit westliche Händler einen Teil ihrer Marge der Ethik opfern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2014)

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