Warum versteckt die Politik genaue Zahlen zu sozialen Leistungen?

Das heimische System scheint gegen großflächige Einwanderung in die soziale Hängematte gut gewappnet zu sein. Weshalb also diese Angst vor Transparenz?

Seit Jahresanfang dürfen Rumänen und Bulgaren uneingeschränkt Arbeit in den anderen EU-Ländern aufnehmen. Das ist eine gute Nachricht. Nicht nur, weil damit die bisherige Ungleichbehandlung der EU-Bürger beendet wird, sondern vor allem auch, weil langfristig alle europäischen Volkswirtschaften von einer kompletten Freizügigkeit der Arbeitskräfte profitieren. So zeigt die ökonomische Historie, dass in Industriestaaten ein Bevölkerungswachstum nahezu immer auch zum Anstieg des Wohlstands geführt hat.

Kurzfristig dürfte der Druck auf dem heimischen Arbeitsmarkt durch die Öffnung zwar zunehmen. Denn: Auch wenn die Wirtschaft jedes Jahr tausende neue Jobs schafft, sind es doch zu wenige, um den Zustrom auf den Arbeitsmarkt komplett abzufangen. Wirklich spürbar dürfte dieser Druck aber nur im Bereich unqualifizierter Arbeitskräfte werden. Und um dieses Problem zu lösen, braucht es keine Abschottung des gesamten Arbeitsmarkts, sondern gezielte Ausbildungsmaßnahmen für die Betroffenen. In Summe wird der Arbeitsmarkt trotz angespannter Lage den neuen Zustrom relativ leicht verkraften.

Nicht zuletzt deshalb verschiebt sich die vor allem in Deutschland losgetretene Debatte zunehmend in Richtung „Einwanderung in das Sozialsystem“. Befeuert wurde das Ganze durch ein Gerichtsurteil aus dem Herbst, bei dem einer aus Rumänien stammenden Familie das Anrecht auf HartzIV zuerkannt wurde, weil die Arbeitssuche „objektiv aussichtslos“ sei. Das Urteil hat zu Recht für Aufregung gesorgt, da es gezeigt hat, dass es Fragen gibt, die von der Politik einfach noch nicht in ausreichendem Maß beantwortet wurden.

Hierzulande scheint das System deutlich weniger anfällig für eine mögliche „Sozialeinwanderung“ zu sein. So wurde in den vergangenen Jahren eine Reihe von Barrieren eingezogen, die einen Zuzug ohne Selbsterhaltungsfähigkeit nur schwer möglich machen. Und wenn ein Zuwanderer nach mehreren Jahren der Erwerbstätigkeit in die Arbeitslosigkeit schlittert, hat er ein ebenso legitimes Anrecht auf vorübergehende soziale Unterstützung wie jemand, der innerhalb der Landesgrenzen geboren wurde.

Ob das alles in der Realität auch wirklich ausreicht, kann aber nur durch fundierte Zahlen überprüft werden. Und hier hapert es wie so oft in Österreich. Denn auch wenn verantwortliche Politiker regelmäßig wiederholen, dass der Anteil von Migranten bei Beziehern sozialer Leistungen unterproportional zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung ist, konkret belegen können (oder wollen) sie das nicht.


So findet sich etwa in den gesamtösterreichischen Jahresstatistiken zurMindestsicherung keine Erhebung über die Staatsbürgerschaft der Bezieher, obwohl einzelne Bundesländer dies durchaus machen. Diese Zahlen wären aber ohnehin lückenhaft, da Wien – wo fast 60Prozent aller Bezieher der Mindestsicherung leben – die Staatsbürgerschaft nicht erhebt (oder zumindest nicht veröffentlicht). So findet sich im Wiener Sozialbericht 2012 kein Wort zu diesem Thema, was insofern bemerkenswert ist, als im Wiener Sozialbericht 2010 noch aufgeschlüsselt wurde, wie viele Bezieher der Sozialhilfe keine österreichische Staatsbürgerschaft besessen haben.

Damals waren es mit 26,8 Prozent deutlich mehr, als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung ausmachte (19,5 Prozent). Diese Zahl ist jedoch noch kein Skandal, da sich darunter auch 7,4 Prozent Asylberechtigte befunden haben – also Menschen, die nachgewiesenermaßen in ihrer Heimat verfolgt wurden. Dass diese oft nicht auf den Arbeitsmarkt passen und daher versorgt werden müssen, ist schlicht ein Gebot der Humanität.

Grundsätzlich muss es aber das Recht jedes Staates bleiben, sein Sozialsystem vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme zu schützen. Dies gilt auch in der EU, wo die Freizügigkeit der Personen eine wichtige Grundfreiheit darstellt. Dass dies in ausreichendem Maße geschieht, sollte die Politik mit offiziellen Zahlen nachweisen können. Werden diese Zahlen versteckt, wiederholt man die Fehler früherer Migrationsdebatten und sorgt für Misstrauen in der Bevölkerung. Das haben weder die arbeitenden Zuwanderer noch die Österreicher verdient.

E-Mails an: jakob.zirm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2014)

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