»Praktisch alle Kampfbilder sind gestellt«

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Die Fotos und Filme von Kampfhandlungen, die die Vorstellung vom Ersten Weltkrieg prägen, sind so gut wie alle unecht, sagt der Fotohistoriker Anton Holzer. Gezeigt werden Übungen im Hinterland oder Szenen aus Nachkriegsfilmen.

Eigentlich müsste man die Augen schließen, doch selbst das würde nichts helfen. All die Bilder von aus Schützengräben stürmenden Soldaten, vom Stahlgewitter an der Front, sind ja tief in unseren Köpfen. Sie könnten teilweise echt sein. Sie sind es nur nicht. „Es gibt vielleicht eine Handvoll authentische Kampfbilder aus dem Ersten Weltkrieg“, sagt der österreichische Fotohistoriker Anton Holzer. „Praktisch alles ist gestellt.“
„Fronttheater“ nannte das Karl Kraus, inszeniert von „embedded journalists“, wie man heute sagt, eingebettet in militärische Logistik, beauftragt und streng kontrolliert von Bildpropagandastellen, in Österreich der Lichtbildstelle des Kriegspressequartiers.

Überlebensgarantie für Fotografen. Und der Kriegsfotograf, der auf den Schützengraben steigt und von oben die Szene fotografiert? Wer so ein Bild sehe, sagt Holzer, könne sicher sein, dass es nicht echt sei. „Kriegsfotograf zu sein war im Ersten Weltkrieg eine Überlebensgarantie, es war anders als im Zweiten absolut ungefährlich.“

Aber woher kommen dann die dramatischen Kampfszenen, die unsere Köpfe durchfluten und das kollektive Bild vom Ersten Weltkrieg so dominieren? „Meist sind es gestellte Fotos von Übungen im Hinterland“, sagt Holzer, der die Fotogeschichte des Ersten Weltkriegs kennt wie kaum ein anderer. „Viele Bilder stammen aber auch aus englischsprachigen Spielfilmen der 1920er- und beginnenden 1930er-Jahre.“ Sie fanden teilweise auch in die Kriegsarchive, etwa das Imperial War Museum in London, und wurden später für echt gehalten. „Man brauchte Bilder und fragte kaum danach, woher sie kamen.“ Auch Bildbände nach dem Krieg konzentrierten sich auf Szenen an der Front, etwa Ernst Jüngers „Im Antlitz des Weltkrieges“. Genau diese Bilder aber waren gestellt.

Es gibt Millionen Fotos. Wie wird es 2014? Unzählige TV-Dokumentationen werden gesendet werden, die Zuseher wollen, wie schon anno 1914, visuelle Dramatik. Bilder gäbe es ja genug – „lange dachte man, dass der Erste Weltkrieg visuell im Schatten des Zweiten steht, dabei wurde unglaublich viel fotografiert, auch privat, die Zahl der Bilder geht in die Millionen“, sagt Holzer.
Doch sie sind nicht, was sich die Menschen erwarteten und erwarten: anschauliche, übersichtliche Darstellungen der Kampfhandlungen. Schon 1915 schrieb die „Berliner Illustrirte“, alle zirkulierenden Fotos und Filme von Kämpfen seien nachgestellt. Selbst wenn der Fotograf unter Lebensgefahr in die Schützengräben gehe, „wird das Bild höchstwahrscheinlich nur eine langweilige Landschaft zeigen“.

Verschwundene Ostfront. Zum falschen Bild gehört auch die Dominanz der Westfront. „Die Ostfront war mindestens so wichtig, trotzdem ist sie völlig aus den Köpfen verschwunden.“ Warum? Deutschland konzentrierte sich nach dem Krieg in seinen Darstellungen auf den Feind Frankreich, US-Filme zeigten nur die Westfront. Außerdem sei das kommunistische Europa „nicht bildwürdig“ gewesen, sagt Holzer, das dort lagernde Archivmaterial war jahrzehntelang unzugänglich.

Und auch nach der Ostöffnung fehlte es an Interesse. „In den letzten Jahren war ich in der Ukraine, in Polen, Serbien, und oft war ich der Erste, der sich in den Archiven nach Bildern aus dem Ersten Weltkrieg erkundigt hat.“

In Familienalben ist die Ostfront sehr wohl präsent. Und die Fotos davon zeigen, um wie viel bewegter, vielfältiger, auch gemächlicher der Alltag war als im westlichen Stellungskrieg, wie viel mehr die Soldaten auch Kontakt mit der Zivilbevölkerung hatten.

Kriegsbild „kaum erforscht“. Welchem Kriegsbild sitzen wir auf? Für Anton Holzer ist das eine offene Frage. Die Wirkung der nachgestellten Szenen in den Filmen der 1920er-Jahre etwa sei kaum erforscht. Und wie entkommen wir medial den falschen Bildern? „Man kann sie ruhig zeigen“, meint er. „Aber man sollte ihren Kontext erklären.“

Kraus als Fotokritiker

Alice Schalek stilisierte sich als todesmutige Kriegsberichterstatterin, Kraus karikierte sie in den „Letzten Tagen der Menschheit“.

Etliche Szenen in Kraus' Werk gehen auf Zeitungsbilder zurück. Die endgültige Buchausgabe begann und endete mit einem Kriegsfoto.

„Die Letzten Tage der Menschheit. Der Erste Weltkrieg in Bildern“ (Primus) illustriert diesen Aspekt. Anton Holzer stellt darin Textauszüge in einen Kontext mit zeitgenössischen Kriegsbildern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2014)


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