Gerhard Loibelsberger: Gemütliches, kriegslüsternes Wien

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Der Wiener Autor Gerhard Loibelsberger lässt in »Todeswalzer« seinen Inspektor Joseph Maria Nechyba im Wien des Jahres 1914 ermitteln. Ein zwiespältiges Lesevergnügen.

Juni 1914: Der beleibte Wiener Inspektor Joseph Maria Nechyba verbringt seine Kur im steirischen Ort Gleichenberg. Genüsslich schiebt er sich eine Gabel Kirschkuchen in den Mund, als ihn ein Telegramm ereilt. Er soll dringend den Polizeipräsidenten anrufen. Also macht er sich auf den Weg zur Post, wartet dort zehn Minuten, bis die einzige Telefonzelle frei wird. Dennoch freut sich Nechybas Gesprächspartner: „Na, das is' ja so schnell wie bei der Feuerwehr gegangen, dass Sie sich bei mir gemeldet haben. Ich sag' Ihnen, die moderne Technik ist ein Wunder.“

Es ist ein feines Szenario, das Gerhard Loibelsberger zu Beginn seines Kriminalromans „Todeswalzer“ entwirft. Vor 100 Jahren tickten die Uhren eben noch anders. Für den Leser ist es angenehm, in die langsamere Welt seiner Protagonisten einzutauchen – ohne Handy und ohne allwissende Labor-CSI-Polizisten. Der Polizeipräsident teilt Nechyba schließlich mit, dass er seine Kur abbrechen muss. Denn in Wien ist fast zeitgleich mit Thronfolger Franz Ferdinand ein junger Mann ermordet worden. Der Inspektor wird benötigt. Mit Pferdekutsche und Zug dauert die Heimreise elf Stunden.

Nach Wiener Mundart. Und als Nechyba bei der Zugfahrt einem kriegslüsternen Mitreisenden im typisch wienerischen Grant über den Mund fährt („Halt die Gosch'n“), ist das ebenfalls wohltuend. Denn Nechyba und Co. parlieren in Wiener Mundart und Gaunersprache. Wichtige Begriffe werden in Fußnoten und einem Glossar erklärt. Das klingt echt, das klingt authentisch. Nicht beschönigt werden auch die brutalen und vordemokratischen Methoden, mit denen die Polizei die Wahrheit ans Licht bringen will. Wenn Nechybas Kollege Pospischil zum Einsatz kommt, können Häftlinge mitunter froh sein, das Verhörzimmer wieder lebend verlassen zu können.

Dass der Wien-Krimi „Todeswalzer“ dennoch kein großer Wurf geworden, hat mehrere Gründe. Dass Inspektor Nechyba überhaupt kriminalistisch ermittelt, wird kaum ersichtlich. Viel lieber zieht er von Kaffeehaus zu Kaffeehaus, trinkt und isst dort ausgiebig und führt mehr oder weniger tiefsinnige Gespräche. Das liest sich manchmal wie ein simpler Schulaufsatz und ist dann auch ein wenig zu viel der Wiener Gemütlichkeit. Hier fehlt jegliche Raffinesse.
Zwischendurch wird auch immer wieder gekocht, sodass sich das Buch phasenweise wie eine Rezeptsammlung liest. Und es nervt, wenn der mit Nechyba befreundete Journalist Goldblatt zum gefühlt hundertsten Mal über den „wunderbarsten Hintern der Welt“ seiner Nachbarin Judith von Zweytick sinniert.

Französisch unerwünscht. Dennoch gibt es einige interessante Szenen, in denen das kriegslüsterne Wien porträtiert wird („Aus den Serben mach' ma Reisfleisch!“). Nechyba und Goldblatt fühlen sich dadurch angeekelt. Das ist aus heutiger Sicht verständlich. Manchmal wirken die beiden Hauptcharaktere angesichts des allgegenwärtigen Patriotismus aber doch ein wenig zu modern gezeichnet.

Eine Episode, die viel über die damalige Zeit aussagt, brennt sich allerdings besonders ein und sei deshalb hier erwähnt. Als Nechyba und Goldblatt eines Tages in das Café Orleans einkehren, weiß nicht einmal mehr der Cafetier, wie sein Kaffeehaus eigentlich heißt. Warum? „Ich bitte Sie, schreien S' nicht so. Vor allem schreien Sie bitte nicht ,Orleans‘ in der Gegend herum. Französische Namen hört man in patriotischen Zeiten wie diesen nicht gern“, sagt der Cafetier. Nechyba und Goldblatt überlegen in der Folge, wie man das Café umbenennen könnte. Letztlich wird daraus das Café Weimar. Die Geschichte ist schön und könnte fast wahr sein: Die tatsächliche Umbenennung erfolgte allerdings erst zu Kriegsende.

Wer mehr über Nechybas Wien wissen will, dem sei übrigens Loibelsbergers gleichnamiges Buch empfohlen. Darin sind 33 Lieblingsspaziergänge und elf Genusstipps aus der Zeit um 1900 versammelt.

Neu Erschienen

Gerhard Loibelsberger
„Todeswalzer. Ein Roman aus Wien im Jahr 1914“
Gmeiner Verlag
276 Seiten, 13,40 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2014)

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