Tourismus: Der Ursprung des Reisens

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Am Vorabend des Ersten Weltkriegs legten Sommerfrische und Bildungsreisen in andere Städte die Saat für den Tourismus unserer Tage.

Niemand außer den Allerärmsten blieb sonntags mehr zu Hause [...], wer Ferien hatte, zog nicht mehr wie in meiner Eltern Tage in die Nähe der Stadt oder bestenfalls ins Salzkammergut, man war neugierig auf die Welt geworden, ob sie überall so schön sei und noch anders schön; während früher nur die Privilegierten das Ausland gesehen, reisten jetzt Bankbeamte und kleine Gewerbsleute nach Italien, nach Frankreich. Es war billiger, es war bequemer geworden, das Reisen, und vor allem: Es war der neue Mut, die neue Kühnheit in den Menschen [...].“

Ganz so ein universelles Phänomen, wie es Stefan Zweig in seiner Autobiografie „Die Welt von Gestern“ in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg beschreibt – zuvor erzählt er über seine Fahrten nach Paris und London, nach Berlin, in die USA und nach Indien – , war das Reisen 1914 dann doch noch nicht. Aber die Saat dessen, was sich zwei große Kriege später zum heutigen Massentourismus auswachsen sollte, war in diesen Jahren bereits gelegt. Von echtem, institutionalisierten Fremdenverkehr will Peter Zellmann, der Leiter des Wiener Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung, 1914 noch nicht reden: „Es gab zwei Marken, unter denen Reisen damals firmierte: Sommerfrische und Bildungsreisen.“


Bürgertum imitiert wandernden Adel. Die Sommerfrische war dabei die konsequente Fortschreibung des Wechsels der Adligen vom Wintersitz in der Stadt in ihren Sommersitz – etwa ein Jagdschloss oder ein Anwesen im Grünen, schlag nach bei Kaiser Franz Josephs Liebe zum Salzkammergut. Mit dem Aufkommen des Bürgertums und dessen gestiegener Mobilität Ende des 19. Jahrhunderts begann die weitverbreitete Imitation dieses Vorgangs: die Sommerfrische. Vor allem die Frauen und Kinder betuchter Bürger waren es zunächst, die im Sommer mehrere Monate die Stadt verließen und ins Alpenvorland oder das Salzkammergut zogen – die Väter kamen tageweise nach.

Mit fortschreitendem Wohlstand wuchs dann auch der Radius der Sommerfrische: „Letztlich sind die langen Sommer in Abbazia (dem heutigen Opatija in Kroatien) oder Grado Ausdruck der Sommerfrische gewesen“, sagt Zellmann: „Je weiter weg, desto höher der soziale Status.“ Dieser Prestigegewinn durch die Sommerfrische sei dabei im Vordergrund gestanden, ergänzt Zellmann – „mit dem Erholungsgedanken des heutigen Urlaubsreisens hatte das noch nichts zu tun.“

Reisen, bloß um zu zeigen, dass man es sich leisten kann? Das muss in diesen Jahren besonders in den noblen Küstenorten der österreichischen Riviera deutlich geworden sein. Dass es überhaupt dazu kommen konnte, dass das Bürgertum dort seine Sommer verbracht hat, das war der Ausbreitung der Infrastruktur zu verdanken – vor allem dem der Eisenbahnnetze.

Opatija als Ort der Sommerliebe.
1884 eröffnete die Südbahngesellschaft die Strecke Wien-Rijeka, die an Opatija vorbeiführt, und begründete damals den Zug der Österreicher ans Meer. 1889 erklärte Kaiser Franz Joseph den Ort per Dekret zum heilklimatischen Kurort. Opatija war für mildes Klima bekannt, das sprach sich in den empfindlichen höheren Kreisen schnell herum. Aber der Kaiser selbst soll seine Zeit dort am liebsten im Casino verbracht haben. Und Wiens damalige Society soll ebenso nicht nur das heilende Klima gelockt haben. Eher das Flanieren entlang der Promenade oder der Ruf, dass sich in den Sommern Opatijas die eine oder andere Liaison ergeben haben soll. Schließlich war dort, anders als im Seebad Grado etwa, Frauen und Männern sogar das gemeinsame Bad gestattet.

Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges entstanden in Opatija, dem ersten planmäßig angelegten Kurort der Österreicher, ein Dutzend Hotels, 44 Pensionen, 83 Villen und fünf Badeanstalten. Im Hafenstädtchen Rijeka sind 20 Hotels entstanden, in denen auch Geschäftsleute und Emigranten auf die Abfahrt der Schiffe der Cunard Line nach New York warteten.

Das Zentrum der „österreichischen Riviera“ aber war Triest als Handelshafen und Stützpunkt der Kriegsmarine. Ab 1900 blühte Triest auf, Prachtbauten entstanden, einige davon nach den Plänen von Ringstraßenarchitekten wie Heinrich von Ferstel. Intellektuelle und Künstler wie James Joyce verkehrten dort. In den Jahren vor Kriegsbeginn wurden in Triest, vor allem auf Drängen Erzherzog Franz Ferdinands, einige Kriegsschiffe gebaut. Und der Thronfolger selbst soll dort immer wieder an Stapelläufen teilgenommen haben. Weniger kriegerisch ging es indes in den Seebädern zu. Neben Opatija, der „Perle der österreichischen Riviera“, zog es die Gesellschaft der Vorkriegszeit zum Baden nach Brijuni, Duino, Grado oder in den damaligen Nobelkurort Portorož.


Bildungsreisen nach Paris und Berlin. Auf der anderen Seite des Reisespektrums vor dem Ersten Weltkrieg standen die Bildungsreisen, die vor allem in andere Hauptstädte führten. „Da ging es darum, möglichst viel der Kultur anderer Länder kennenzulernen, ihre Literatur, ihre Musik, ihr Theater“, sagt Zellmann, der das mit den heutigen Musicalreisen vergleicht. Die wichtigsten Ziele seien jene gewesen, die schon Zweig in seiner Erzählung erwähnt: Paris, Berlin, London.

Auch diese Art des Reisens war dem Bürgertum vorbehalten – auch wenn Reisen billiger und die Menge der Menschen, die es sich leisten konnten, größer wurde, war es am Vorabend des Ersten Weltkrieges „maximal ein Viertel der Bevölkerung“, das die finanziellen Mittel für einen Ortswechsel hatte.

Mit 1914 aber war dieser erste Aufschwung im Tourismus wieder vorbei. Und auch die österreichische Riviera ist Geschichte. In Opatija etwa wurden Hotels zu Lazaretten, und der Niedergang des einst noblen Ortes begann. Ein Niedergang, von dem sich das Küstenstädtchen erst in den vergangenen Jahren nach und nach erholt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2014)


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