Alltag zwischen Kaffeehaus, Salons und Bahnhöfen

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1914 traf man sich in Salons von Wiener Damen wie der berühmten Berta Zuckerkandl oder saß in einem der Dutzenden Kaffeehäuser entlang der Ringstraße. Wer es sich leisten konnte, der ließ für sich einkaufen und verbrachte seine Zeit lieber beim Flanieren oder begab sich von einem der damals sechs Bahnhöfe auf Reisen: die Orte des bürgerlichen Alltags im Wien des Jahres 1914.

Ein Stelldichein im Salon, politische Debatten im Kaffeehaus oder Lustwandeln am Ring: Die Ringstraße, der Korso des höheren Bürgertums, war damals noch jung – mit dem k.u.k. Kriegsministerium am Stubenring waren die Repräsentativbauten 1913 gerade erst fertig geworden – und so flanierten die Wiener des Bürgertums gern in dieser Gegend. Dort, wo man noch heute die Orte des Gesellschaftslebens dieser Zeit besuchen kann: Ein paar Kaffeehäuser, die überlebt haben. Geschäfte, in denen man schon 1914 Mode gekauft hat. Oder die Orte, an denen sich die Berühmtheiten dieser Zeit in Salons der großen Damen trafen.

1 Künstlertreff und Kontaktbörsen: Die Salons und ihre Salonièren

Sie war besonders – und das lag nicht nur an ihren Fähigkeiten als Wiens wohl berühmteste Salonière: Berta Zuckerkandl gehörte zu den wenigen, die 1914 vehement gegen die herrschende Kriegsbegeisterung auftraten: „Der Krieg! Mich ergriff der allgemeine patriotische Taumel nicht“, schrieb sie. „Ich bäumte mich sofort gegen den Haßrausch auf, der selbst die zartesten Gemüter erschütterte. Es blieb mir unverständlich, wieso, warum man Menschen einer anderen Nation, die man noch tags zuvor geliebt oder geschätzt hatte, plötzlich verachten oder hassen solle, nur weil es Kaisern, Königen und Präsidenten der Republik gefiel, Europa in Blut zu tauchen.“

Die kosmopolitische und friedliebende Journalistin und ab 1910 Witwe des Anatomen Emil Zuckerkandl setzte auf ihr schreiberisches Talent, um, wie sie es nannte, an der Zensur vorbei „die Wahrheit einzuschmuggeln“. Im August 1914 publizierte sie „bereits den ersten völkerversöhnenden Artikel“, zitiert sie Helga Peham in ihrem Buch „Die Salonièren und die Salons in Wien“.

Der Krieg sorgte auch für die Verlagerung von Zuckerkandls Salon, in dem Künstler wie Gustav Klimt, Koloman Moser, Otto Wagner, Oskar Kokoschka und Egon Schiele ein- und ausgingen. Weil ihre Villa in der Döblinger Nusswaldgasse aufgrund des Kohlenmangels kaum mehr beheizbar war, übersiedelte sie 1917 in die Wiener Innenstadt, wo sie im Palais Auspitz-Lieben in der Oppolzergasse 6 eine Vierzimmerwohnung über dem Café Landtmann bezog.

In Zuckerkandls Salon hatten sich 1901 auch Gustav Mahler, damals Direktor der Wiener Hofoper, und Alma Schindler kennengelernt. Nach seinem Tod, ab 1911, führte Alma Mahler einen Salon in der Elisabethstraße hinter dem Opernring. Die im Stil der Secession eingerichtete Wohnung, aber auch ihr Haus am Semmering wurden bald zum Treffpunkt für Künstler wie Arnold Schönberg oder Alban Berg. 1915 heiratete Alma den Architekten Walter Gropius, begann aber schon während dieser kurzen Ehe eine Affäre mit ihrem späteren Mann Franz Werfel. Während des Ersten Weltkriegs, so Helga Peham, entfaltete Alma Mahler-Werfels Salon eine besonders anregende Atmosphäre. Ihr Salon war eher intim, noch nicht die rege Kontaktbörse wie in der Villa Ast auf der Hohen Warte, wo sich später rund um die geltungsbedürftigeDame tout Vienne die Klinke in die Hand geben wird.

Freilich traf man sich vor dem Ersten Weltkrieg nicht nur dort: Auch bei der Frauenrechtlerin Marie Lang und ihrem Mann Edmund, erst in der Belvederegasse, dann auf der Linken Wienzeile. Bei Lina Loos in der Sieveringer Straße, bei der Schriftstellerin Gina Kaus in der Liechtensteinstraße, rund um die Tänzerin Grete Wiesenthal oder bei Genia Schwarzwald, einer Pionierin der Mädchenbildung, in der Josefstädter Straße. tes

2 Leben im Kaffeehaus: Wen man im Landtmann, Prückel oder Korb traf

Anders als die Salons waren die Orte der Männer dieser Zeit die Kaffeehäuser – für Frauen war auch in den Cafés oft ein kleiner „Salon“ abseits des Hauptraums reserviert. Im Café Schwarzenberg zum Beispiel. Im Jahr 1861 als erstes Café der Ringstraße eröffnet, galt es schon in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg als Traditionscafé. Und als Treffpunkt der Finanzwelt und der Wirtschaftsleute. Die Künstler und Literaten hielten sich angesichts dieses Rufes dann eher fern, Architekt Josef Hoffmann, Mitbegründer der Wiener Werkstätten, gilt als einer der wenigen berühmten Wiener Kreativen, die sich in diesen Jahren regelmäßig im Schwarzenberg aufhielten. Zahlreiche seiner Entwürfe sollen in dem Haus am Kärntner Ring entstanden sein.

Schließlich war die Auswahl groß, in der Wiener Ringstraßenzeit – den Jahren zwischen der Order Kaiser Franz Josephs, die Stadtmauern einzureißen und den Ring zu bauen (das befahl er 1957) und 1914 – entstanden allein entlang des Rings 27 Kaffeehäuser. Wenige davon sind bis heute erhalten: das Landtmann zum Beispiel. 1873 von Franz Landtmann als Wiens „eleganteste Café-Lokalität“ eröffnet, wurde es in den Jahren vor dem Krieg von Wilhelm und Rudolf Kerl geführt. Sie wurden zu Wiener Berühmtheiten dieser Jahre, schließlich sollen Gäste wie Gustav Mahler, Peter Altenberg, Sigmund Freud oder Felix Salten regelmäßig im Landtmann verkehrt haben.

Auch das Prückel (benannt nach einem Herrn Prückel, der das Café 1905 übernahm), besteht noch heute. Und neben dem Landtmann und dem Café Sperl in der Gumpendorferstraße ist es eines der drei Wiener Kaffeehäuser aus dieser Zeit, die heute unter Denkmalschutz stehen. Damals galt das Prückel als einer der Treffs von Künstlern und Intellektuellen. Denn so hatte jedes Haus damals sein Stammpublikum.

Die Leute vom Theater an der Wien, der Oper, aus dem Musikverein oder die Künstler der Secession etwa trafen sich im Café Museum in der Operngasse. Im modernen, schlichten von Adolf Loos gestalteten Kaffeehaus hielten sich auch Gustav Klimt, Egon Schiele und Oskar Kokoschka oder die Komponisten Alban Berg oder Franz Lehar auf. Im Demel am Wiener Kohlmarkt hingegen trafen sich vor allem die Damen der höheren Gesellschaft und die Mitglieder des Hofes. Zweitere frequentierten auch das nahe Café Korb an der Ecke Tuchlauben und Brandstätte gern, zu dessen Eröffnung 1904 schließlich Kaiser Franz Josef sogar persönlich erschienen war.

Am berühmtesten sind die Kaffeehäuser der Zeit vor dem Krieg aber heute noch als Treff der Literaten. Während die Autoren von „Jung Wien“ Ende des 19. Jahrhunderts vor allem im Griensteidl saßen, schrieben, tranken und diskutierten, zogen die Literaten 1897, als das Haus am Michaelerplatz abgerissen wurde, ins nahe Café Central weiter, das schnell zu einem Zentrum des geistigen Lebens dieser Zeit wurde. Peter Altenberg, Alfred Adler, Egon Friedell, Hugo von Hofmannsthal, Adolf Loos oder Leo Perutz und Alfred Polgar sollen dort regelmäßig verkehrt haben. cim

3 K.u.k Hofschneider, Emile Flöges Modesalon und Warenhäuser

1914 ging man nicht einkaufen, man ließ für sich einkaufen – zumindest jene, die es sich leisten konnten. Die feinen Herrschaften schickten ihr Dienstpersonal oder bestellten gleich die Schneidermeister ins Haus. Viel unterwegs war offenbar Carl Moritz Frank, der seinen Herrensalon (namens C. M. Frank) für Mode auf der Wiener Ringstraße, gleich neben dem Hotel Imperial betrieb. 1838 von seinem gleichnamigen Vater gegründet, übernahm der Junior 1860 das Modehaus und gewann das Hause Habsburg als Stammkunden dazu. Die Kundenliste liest sich wie das Who's who der Kaiserzeit: Kaiser Franz Joseph, Kronprinz Rudolf von Habsburg, Erzherzog Karl Ludwig, Erzherzog Franz Ferdinand, Erzherzog Otto, Erzherzogin Elisabeth, um nur einige zu nennen. Außerdem belieferte er auch das französische Kaiserhaus, Mitglieder der Königshäuser von Italien, Spanien, England, Schottland, Schweden, Bayern, Preußen, Russland, Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Serbien und Montenegro. In den Olymp der Modeszene schaffte es der Modesalon, als er die damals bestangezogene Persönlichkeit, König Eduard VII., als Stammkunden gewinnen konnte – immerhin war damals London Mekka der Herrenmode.

1914 wurde C. M. Frank von Kaiser Franz Joseph in den Adelsstand erhoben und spendete drei Millionen Goldkronen für die Errichtung eines Sanatoriums bei Lilienfeld, in dem Kinder mit Tuberkulose behandelt wurden. Das Unternehmen ist heute übrigens noch unter dem Namen Niedersuesz in der Annagasse tätig.

Modesalons waren damals ebenso Salons der feinen Gesellschaft. Auch Emile Flöge betrieb einen Haute-Couture-Salon, die „Schwestern Flöge“ in der Mariahilfer Straße 1b. Dort wurde nicht nur Mode im Stil der Wiener Werkstätte verkauft. Es war auch ein Treffpunkt der Wiener Szene. Neben den edlen Traditionshäusern – heute noch in Betrieb ist etwa das Stoffgeschäft Jungmann und Söhne oder die Glasmanufaktur Lobmeyr – waren 1914 auch die Kaufhäuser en vogue, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufkamen.

So zählten etwa das Warenhaus Rothberger am Stephansplatz, das von Otto Wagner konzipierte Warenhaus Neumann in der Kärntner Straße (wo heute das Kaufhaus Steffl untergebracht ist), das Teppichhaus Philipp Haas & Söhne und das Warenhaus Herzmansky auf der Mariahilfer Straße (heutige Peek&Cloppenburg-Filiale) zu den wichtigsten Kaufhäusern. ks

4 Eine Adresse wird weltberühmt – Freud und die Berggasse 19

Es war im Spätsommer 1891, als der damals vierköpfigen Familie Freud ihre alte Wohnung in der Maria-Theresien-Straße zu klein geworden war und die Freuds in die damalige Vorstadt Alsergrund zogen. „Docent Dr. Sigm. Freud beehrt sich anzuzeigen, dass er von Mitte September 1891 an IX, Berggasse 19, wohnen und daselbst von 5-7 Uhr (auch 8-9 Uhr früh) ordinieren wird“, ließ Freud damals inserieren, nachdem er die Wohnung im ersten Stock von Victor Adler übernommen hatte. Schließlich war Adler, der Begründer der österreichischen Sozialdemokratie, bekannt als „Armeleutedoktor“ und musste seine Ordination verkaufen.

Und Freud, der nach der Geburt seines fünften Kindes Sophie auch das Hochparterre übernommen hatte, machte dieses Haus zur Geburtsstätte der Psychoanalyse und damit zur weltweit berühmtesten Adresse Wiens. Obwohl das Haus, die Privatwohnung der Freuds, die Ordination und die Wohngegend von Besuchern als äußerst bescheiden, gar als eines Mannes von Freuds Bedeutung unwürdig beschrieben wurden. Freud blieb in dem Haus, in das er gezogen war, lang bevor er weltberühmt wurde, fast 50 Jahre und behandelte hier tausende Patienten.

Im Jahr 1914 ist Sigmund Freud 58 Jahre alt, international bekannter Arzt, Vorsitzender der psychoanalytischen Vereinigung, die in diesem Jahr 34 Mitglieder zählt und der Präsident der psychoanalytischen Internationale (damals 140 Mitglieder). Und, obwohl Freud immer wieder über Geldmangel klagt, gilt er als einer der wohlhabenderen Wiener dieser Zeit.

1914 lässt sich Freud von der allgemeinen Kriegseuphorie anstecken. „Ich fühle mich vielleicht zum ersten Mal seit 30 Jahren als Österreicher“, schreibt Freud in einem Brief. Andernorts sagt er, seine „ganze Libido“ gehöre Österreich-Ungarn. Schließlich ist das Familienleben der Freuds vom Krieg erst unbeeinflusst: Tochter Anna reist im Sommer, kurz nach dem Attentat, nach London, Sigmund und Martha haben sich in Karlsbad einquartiert. Aber, schon im Herbst ist die Euphorie vorbei, weicht einem Pessimismus. Freud spricht im September von „entfesselter Bestialität“ auf beiden Seiten. Zwei seiner Söhne melden sich im Herbst freiwillig zur Artillerie. cim

5 Das sechsköpfige Bahnhofssystem im Herzen des Habsburgerreichs

Wer Wien betreten oder verlassen wollte, tat das 1914 vorrangig – per Bahn oder genauer gesagt über einen von sechs Hauptbahnhöfen. Vier davon gibt es, zumindest in puncto Standort, noch heute: den Franz-Josefs- und den Westbahnhof, die vorläufig immer noch als eigenständige Bahnhöfe fungieren und den Süd- und Ostbahnhof (damals „Staatsbahnhof“), die gerade im Hauptbahnhof aufgehen.

Nicht mehr gibt es dagegen den wahrscheinlich wichtigsten Bahnhof der Weltstadt von damals, den Nordbahnhof, mit seiner Eröffnung 1838 der älteste in Wien. Dort, wo er im heutigen 2. Bezirk, im Anschluss an den Praterstern, lag, ist heute eine der größten innerstädtischen Brachen. 1914 endete hier eine der wichtigsten Lebensadern der Monarchie, die „k.k. privilegierte Kaiser Ferdinands-Nordbahn“, die Wien mit Brünn und im Anschluss auch mit Prag und Krakau verband. Auch der unmittelbar benachbarte Nordwestbahnhof, heute noch als Frachtenbahnhofsareal bekannt, verband die Hauptstadt mit Mähren, Richtung Znaim.

Dass Wien von allen Seiten mit kaum aufeinander abgestimmten Kopfbahnhöfen durchsetzt war, war vor allem dem chronischen Geldmangel des Staates geschuldet: Errichtet wurden Bahnstrecken wie Bahnhöfe ursprünglich von privaten Investoren, was auch den stark repräsentativen Charakter der Bahnhöfe erklärt: Säulen, Arkaden, Statuen – die neoklassischen und Historismus-Bahnhöfe, die die Passagiere 1914 durchquerten, hatten wenig mit den öden Markthallen von heute gemein. Die meisten Bahnen wurden in den Jahrzehnten nach der Gründerkrise von 1873 (am „Schwarzen Freitag“ verloren viele Investoren ihr Kapital) verstaatlicht – 1914 waren bereits fast alle für Wien relevanten Bahnen (mit der bemerkenswerten Ausnahme der Südbahngesellschaft) in den k. k. Staatsbahnen zusammengefasst. gr

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2014)

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