Nikola Pašić: Der Premier, der mehr wusste, als ihm lieb war

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Nikola Pašić prägte die serbische Politik jahrzehntelang. Ein Krieg gegen Österreich- Ungarn schien ihm unausweichlich. Aber er wollte ihn nicht schon 1914.

Mitten in Belgrad, gar nicht weit vom Parlament, steht auf einem von den Proportionen her merkwürdig hohen Sockel die Statue eines Mannes mit respektablem Rauschebart. Den Blick fest nach vorn gerichtet, wirkt er souverän. Jemand, der genau zu wissen scheint, was er will. Das, was Nikola Pašić, mit Unterbrechungen von 1904 bis zum Tod 1926 Premier Serbiens und später Jugoslawiens wollte, war Großserbien. Doch souverän war sein Verhalten rund um das Attentat von Sarajewo nicht.

Für Pašić, den an der ETH Zürich ausgebildeten Bauingenieur und Führer der „Radikalen Volkspartei“, schien es 1914 klar, dass die damals breit propagierte staatliche Vereinigung der serbisch besiedelten Gebiete nur durch einen Krieg, womöglich einen gesamteuropäischen, zu erreichen war. Auch der Großteil des Kosovo und das heutige Mazedonien waren gerade erst durch einen Waffengang, die Balkankriege 1912/1913, zu Serbien gekommen. Doch Pašić wollte den Krieg nicht schon im Sommer 1914, Serbien sollte sich erst intern konsolidieren. Pašić selbst stand damals unter wachsendem Druck. Im breiten nationalistischen Spektrum galt der Großserbe den Hardlinern als zu weich.

Unter der Führung von Dragutin Dimitrijević, genannt Apis (der Stier), hatte sich in Kreisen des Militärs ein Staat im Staat gebildet. Diese wachsende Gruppe, die im Kern auf die Verschwörer des Königsmords von 1903 zurückging, hatte 1914 beträchtliche Teile der Sicherheitskräfte, gerade auch der Grenztruppen, infiltriert. Apis war auch einer der Gründer von „Vereinigung oder Tod“, vulgo „Schwarze Hand“. Pašić konnte sich – obwohl es das verbindende Element der erbitterten Gegnerschaft zu Österreich gab – auf diese Kreise nicht nur nicht verlassen, es bestand sogar die Gefahr, dass man ihn aus dem Weg räumen könnte. Dies hatte der Premier, der seinen Aufstieg ja Apis und der Verschwörung von 1903 zu verdanken hatte, 1914 bei jedem Schritt zu bedenken. Also wartete er ab und lavierte.

Lange stritten Historiker darüber, doch heute scheint klar: Pašić wusste von den Anschlagsplänen auf Franz Ferdinand. Er gab sogar Befehl, die serbisch-bosnische Grenze zu sperren, allerdings viel zu spät (die Attentäter waren längst eingesickert), und auf die Grenzwache war ohnehin kein Verlass. Pašić ließ zudem, wie Christopher Clark in seinem Buch „Die Schlafwandler“ überzeugend darstellt, Wien eine Warnung zukommen. Doch diese Warnung des serbischen Gesandten Jovan Jovanović an den österreichisch-ungarischen Finanzminister Leon Biliński war so lauwarm, dass sie nicht ernst genommen oder gar als Finte eingestuft wurde. Nachher durfte es diese Warnung freilich gar nicht gegeben haben, für beide Seiten: Pašić wäre völlig diskreditiert gewesen, und Wien hätte eine dramatische Fehleinschätzung zugeben müssen.

Gegen Apis vorzugehen wagte der Premier zunächst nicht. Er blieb als Chef des Militärgeheimdienstes unangetastet. Erst 1917 wendete sich das Blatt: Der Premier ließ seinem Widersacher, der Serbien in einen Krieg gestürzt hatte, den Pašić – noch – nicht wollte, wegen Hochverrats den Prozess machen und hinrichten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2014)

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