Was wir über Griechenland nicht wissen wollen

Das Land ist nicht gerettet, die internationale Solidarität war keine, und ob das Ganze in eine politische Katastrophe mündet, wissen wir nicht.

Die landläufige Meinung zu Griechenland ist, dass die Europartner es mit Milliarden gerettet haben und die Bevölkerung deshalb stillschweigend die Last früherer Verfehlungen tragen muss. Das ist die Oberfläche und letztlich auch nur an dieser Oberfläche richtig. Darunter verzweigt sich die Wahrheit in vielen Strängen und relativiert dann wieder diese doch etwas zu simple These.

Zum einen ist Griechenland durch die bisher bereitgestellten Hilfskredite von 240 Milliarden Euro nicht gerettet worden. Gerettet wurden lediglich die internationalen Banken, von denen einige bei einem Totalausfall des griechischen Schuldendienstes vor dem Ruin gestanden wären. Der griechische Staat hat seit Ausbruch der Krise nur noch mehr Last aufgebürdet bekommen – zugegeben mit Krediten, deren Zinssätze mit etwas über 1,5 Prozent sehr günstig waren. Zum anderen: Die auch vom österreichischen Bundeskanzler Faymann gepriesene „Solidarität“ mit dem griechischen Volk hat so nicht stattgefunden. Sie gab es nur in sehr geringem Maße in Form eines einmaligen Schuldenschnitts von rund 107 Milliarden Euro durch private Gläubiger. Das ist jener Teil, den die Griechen von ihrem Schuldenberg nicht selbst abtragen müssen.

Natürlich ist das Grundübel in Griechenland entstanden. Über Jahrzehnte haben sich die beiden größten Parteien, die Nea Dimokratia und die sozialistische Pasok, mit staatlichen Hilfen an ihre jeweilige Klientel überboten. Steuern wurden dadurch für viele eine nicht ernstzunehmende Bürgerpflicht. Der öffentliche Dienst wurde aufgebläht. Eine aus beiden Parteien stammende Beamtenelite hat sich an Staatsgeschäften schamlos bedient. Erst kürzlich wurden Schmiergeldzahlungen von hohen griechischen Beamten in Rüstungsgeschäfte mit Unternehmen in Deutschland, Schweden und Russland aufgedeckt. Die Ärmsten in der Bevölkerung, die von diesem Kuchen nie einen Teil bekommen haben, müssen allerdings jetzt ebenso ihren Beitrag zur Sanierung leisten. Dass sie protestieren, ist verständlich, dass sie die Ursachen in Deutschland und anderen EU-Staaten suchen, nicht.

Das Vorurteil, dass die Griechen nicht reformwillig seien, mag in vielen Bereichen des Staates zu Recht bestehen. Tatsache ist aber auch, dass es seit dem sogenannten Rettungspaket der Europartner insgesamt sechs Sparpakete der Regierung gegeben hat, die höhere Massensteuern, geringere Löhne und Renten sowie einen erheblichen Anstieg der Arbeitslosigkeit gebracht haben. Wer aus der Arbeitslosenversicherung herausfällt, ist nicht einmal mehr krankenversichert. Das sind mittlerweile drei Millionen Menschen. Die Griechen, deren Löhne im Verhältnis zur Produktivität zweifelsfrei einige Jahre zu hoch waren, müssen nun weit größere Einschnitte hinnehmen als Staatsbürger aller anderen EU-Staaten. Das macht Fehler in der Vergangenheit nicht wett, aber es sollte bei einer Beurteilung der griechischen Bevölkerung miteinfließen.

Saniert ist das Land durch die Hilfskredite nicht. Selbst wenn es – was kaum jemand glaubt – der Regierung gelingen sollte, Ende dieses Jahres den Eurorettungsschirm zu verlassen, wird ein immenser Schuldenberg von weit über 300Milliarden Euro übrig bleiben. Die Wirtschaftsstruktur des Landes bleibt bis auf den Tourismus mager. Den schlanken Staat, den die Geldgeber erzwungen haben, wird es zwar geben, aber die Aussicht auf Ersatzarbeitsplätze in der Privatwirtschaft bleibt eine Illusion.

Da die Situation so verfahren ist, kann niemand heute sagen, ob sich die finanzielle und wirtschaftliche Krise nicht zu einer gefährlichen politischen Krise auswächst. Wenn radikale Kräfte wie die linke Syriza oder die rechte Morgenröte je an die Macht kommen sollten, würden mit großer Wahrscheinlichkeit alle internationalen Hilfsmaßnahmen zur Sanierung des Staats und deren bescheidene Reformerfolge wieder zunichtegemacht. Dieses Risiko zeigt aber auch, wie dünn das Eis ist, auf dem die Rettungsaktion gebaut wurde.

Vielleicht ist es den Regierungschefs der Euroländer im Jahr 2010 ebenso ergangen wie vielen von uns heute: Sie wollten vieles über Griechenland gar nicht wissen.

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E-Mails an:wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2014)

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