Die Start-up-Gang von Wien Margareten

Rund um die Margaretenstraße ist in den vergangenen Jahren ein Gründer-Grätzel entstanden – und es wächst. Und das, obwohl einem das Firmengründen hierzulande nicht gerade leicht gemacht wird.

Zu sagen, dass Wien jetzt das neue Silicon Valley ist, wäre freilich übertrieben. In San Francisco und der umliegenden Bay Area erkennt man auf den ersten Blick, dass man am Nabel der internationalen Start-up-Szene angekommen ist: Dort reiht sich ein Coworking Space an den anderen, und Cafés und Restaurants gehen über vor lauter „Techies“: den jungen, kreativen, gut verdienenden Mitarbeitern der zahllosen IT-Firmen. Da kann Wien Margareten natürlich nicht mithalten. Hier dominieren Wirtshäuser, Wettcafés und Gemeindebauten.

Aber es wird. Unweit des Naschmarktes, in der Ecke Spengergasse und Margaretenstraße, dezent versteckt hinter Ziegelmauern und in schäbigen 1960er-Jahre-Bauten, ist in den vergangenen Jahren ein Start-up-Grätzel entstanden. Und es wächst. Coworking Spaces, Inkubatoren und Büros von Firmen, die aus den Gemeinschaftsbüros „herausgewachsen“ sind, haben sich hier angesiedelt. Fast so wie in San Francisco. Nur etwas überschaubarer.

Markus Wagner betritt schwungvoll den verglasten Besprechungsraum – Pulli, Rucksack um die Schulter, Understatement, das darüber hinwegtäuscht, dass er zu den Start-up-Pionieren des Landes gehört – und mit seinen Ideen auch schon richtig viel Geld verdient hat. 2006 wurde das von ihm mitgegründete Telekommunikationsunternehmen 3United für umgerechnet 55 Millionen Euro an den US-Internetkonzern Verisign verkauft.

Er hätte wohl ausgesorgt. Aber das will er nicht. Stattdessen hat er sich vorgenommen, die heimische Start-up-Szene zu beleben, und den ersten privaten „Inkubator“ gegründet, wie es sie im Silicon Valley zuhauf gibt. i5invest gründet Firmen beziehungsweise unterstützt Firmengründer in der Aufbauphase – mit Geld, Expertise und Büroraum. „Wir wollen Gründern die ganze Mühsal abnehmen, damit sie sich ganz auf den Geschäftsaufbau konzentrieren können“, sagt Wagner. Nach drei Jahren in New York kehrte er 2009 nach Wien zurück und bezog mit i5invest das großzügige verglaste Büro in der Spengergasse, im selben Haus, in dem auch die Stararchitekten Coop Himmelb(l)au sitzen.

Nach und nach zogen immer mehr Jungfirmen in die Gegend. Man geht in dieselben Lokale, trifft sich schon einmal zufällig auf der Straße, ist befreundet. „Da entsteht schon so ein Nukleus“, sagt Wagner. Auch das erinnert an das Silicon Valley, wo ohne persönliches Netzwerken gar nichts geht. Die Start-up-Szene in Wien beschreibt Wagner, der regelmäßig im Silicon Valley auf Ideenfang geht, als „eine Clique von ein paar hundert Leuten, die sich dem Thema widmen“.


Auf Erfolg folgt Auszug. Der fünfte Bezirk ist dafür ideal: Verwaiste Einkaufsstraßen bieten günstige Geschäftslokale, die Mieten sind vergleichsweise immer noch niedrig – obwohl der Bezirk zentral liegt. Bei i5invest entstanden unter anderem der Online-Reiseführer Tripwolf, die Fitness-App Runtastic und die Suchmaschine 123people. Alle drei waren irgendwann so erfolgreich, dass sie sich abgenabelt und ihr eigenes Büro bezogen haben.

Wie auch die Firma KochAbo, die heute von Alexander Leopoldinger-Haiden und Michael Ströck geleitet wird. KochAbo liefert Lebensmittel und dazupassende Rezepte – und begann im März 2012 als kleine Firma. Mittlerweile hat KochAbo zehn Mitarbeiter und beliefert laut eigenen Angaben „tausende Haushalte“ in ganz Österreich. Alexander Leopoldinger-Haiden sitzt in einem dürftig eingerichteten provisorischen Besprechungszimmer, umgeben von Umzugskartons. „Wir liefern sogar nach Vorarlberg in 2500 Meter Höhe“, sagt der 30-jährige Niederösterreicher. Die Firma sei schnell gewachsen, und wenn man wirtschaftlichen Erfolg habe, sollte man das Gemeinschaftsbüro verlassen und sich ein eigenes suchen, sagt Leopoldinger-Haiden. Wichtig war es ihnen, das Mutterschiff in der Nähe zu haben – und im Start-up-Viertel rund um die Margaretenstraße zu bleiben. „Die jungen Start-ups machen alle die gleichen Erfahrungen, da ist es gut, wenn man sich austauscht“, sagt Leopoldinger-Haiden. Vor allem der informelle Austausch sei wichtig. Zum Beispiel beim Mittagessen im Gasthaus Woracziczky, wo laut Markus Wagner die sitzen, „die schon ein bisschen was verdient haben“. Oder in den Gastgärten des Schlossquadrats. Auch das Fitnessstudio John Harris am Margaretenplatz ist schon ein Treffpunkt geworden.

Einer, der das rechtzeitig bemerkt und zum Geschäft gemacht hat, ist Yves Schulz. Sein „Start-up“ ist der Sektor 5, ein Coworking Space für Selbstständige in der Anfangsphase. Das 600 Quadratmeter große Büro ist gemütlich eingerichtet, in einer Mischung aus Möbeln im 1960er-Jahre-Stil und Ikea. Unternehmer können sich hier monats- aber auch tageweise einmieten: Arbeitsplätze gibt es ab 240 Euro im Monat oder zwölf Euro pro Tag. Inkludiert ist auch die Nutzung des gemütlichen Cafés im Eingangsbereich, in dem man sich eher in Berlin Kreuzberg wähnt als in Wien Margareten. Nur wenige Minuten zu Fuß entfernt liegt das erst 2012 eröffnete Clusterhaus – ein Ableger des erfolgreichen Coworking Space in Köln.
Gründen nicht leicht gemacht. Im Sektor 5 sitzt auch Christoph Jeschke, Geschäftsführer von AustrianStartups. Der im Vorjahr gegründete Verein versteht sich als Sprachrohr der Start-up-Community Österreichs. Jeschke bemängelt, dass einem das Gründen in Österreich nach wie vor „nicht wirklich leicht gemacht“ werde. Viele junge Kreative gingen daher weg – oder denken zumindest darüber nach. „Das absolute Nonplusultra ist natürlich das Silicon Valley. Aber auch in Irland und England sind die Steuern niedriger und die Rahmenbedingungen besser“, so der 28-Jährige.

Jeschke hat einen von knapp 70 Arbeitsplätzen im Sektor 5 – etwa 50 davon seien dauernd belegt, sagt Gründer und Leiter Yves Schulz. Schulz steckt zwar kein Geld in die Firmen. Aber auch er, ein ehemaliger IT-Manager, will mehr bieten als nur die Infrastruktur.

„Hier kommt niemand her, nur um des Arbeitens willen. Es geht um die Kontakte.“ Im Sektor 5 seien schon 500 Erstkontakte entstanden, schätzt Schulz. Hier sitzen Gründer und Programmierer, Grafiker, Filmemacher und Designer. „Die Leute helfen sich hier untereinander.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2014)

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