Abschied von Scharon: Ein Bulldozer für Israel

MIDEAST ARIEL SHARON
MIDEAST ARIEL SHARONEPA
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Ariel Scharon war ein umstrittener Militärführer und beinharter Regierungschef – aber auch ein glaubwürdiger Friedenspolitiker.

Tel Aviv. Ein solches Ende mögen ihm selbst seine schlimmsten Feinde nicht gewünscht haben. Acht Jahre lang lag Ariel Scharon im Koma, ein akutes Nierenversagen machte seinem Leiden schließlich ein Ende. „Es ist vorbei“, verkündete sein Sohn Gilad am Samstag. „Er ist gegangen, als er sich entschieden hat zu gehen.“

Ohne Rücksicht auf Verluste war der „Bulldozer“ nach vorn geprescht, wenn es galt, Terroranschläge zu rächen oder in Feindesland vorzustoßen, wenn zigtausende Wohnungen für die nach Israel strömenden russischen Einwanderer gebaut werden mussten, oder um Siedlungen zu errichten, und später genauso, um sie wieder abzureißen. Nicht sein früherer Parteifreund Benjamin Netanjahu wird um ihn am heftigsten trauern, sondern auch Staatspräsident Schimon Peres von der Arbeitspartei, der ihm ungeachtet aller politischen Differenzen ein enger Freund war.

Ganz ähnlich, wie einst Regierungschef Yitzhak Rabin im Alter umdachte, wurde der Falke Scharon in seinen letzten Wirkungsjahren zahm. „Keine einzige Siedlung wird geräumt, denn ein Abzug würde nur den Terror ermutigen“, argumentierte er noch im April 2002. Kaum ein Jahr später zeigte er sich doch überzeugt davon, dass „es langfristig für Israel besser ist, wenn es keine jüdischen Siedlungen im Gazastreifen gibt“. Scharons Abzug aus dem Gazastreifen sollte der Anfang vom Ende der israelischen Besatzung sein.

Trotz Abzugs blieb der Frieden aus, und trotz Abzugs wird diesen Politiker die Nachwelt eher aufgrund seiner unterlassenen Hilfestellung für die palästinensischen Flüchtlinge im libanesischen Sabra und Schatila als für die Auflösung von Siedlungen in Erinnerung halten. Scharon war ein Mensch, der Emotionen auslöste – gute wie schlechte. Mit schweren Schritten stapfte der hochgewachsene, übergewichtige Soldat und Politiker mal über blutige Schlachtfelder, mal über rote Teppiche.

„In der Galerie der großen israelischen Regierungschefs in der Geschichte Israels reiht sich Scharon in die mythologischen Figuren wie David Ben-Gurion, Menachem Begin und Yitzhak Rabin ein“, schrieb Tommi Lapid über seinen nicht immer gut gelittenen Freund, kurz nach dessen Erkrankung.

Im jüdischen Untergrund

Als Ariel Scheinermann kam er 1928 im damals britisch regierten Palästina zur Welt, schloss sich schon als junger Mann dem jüdischen Untergrund an und organisierte die Haganah, aus der später die israelische Verteidigungsarmee wurde. Im Unabhängigkeitskrieg 1948 wurde er zum ersten Mal lebensgefährlich verletzt. Rang und Namen verschaffte er sich mit seiner berüchtigten Einheit 101, einer Gruppe gnadenloser Rowdies, die mit dem Auftrag zu töten auszogen, um arabische Überfälle zu rächen.Im Verlauf des Sechs-Tage-Krieges errang der auf Anraten des damaligen Ministerpräsidenten, Ben-Gurion, inzwischen auf Scharon umbenannte Soldat den Rang des Brigadegenerals und kommandierte die Einheit, die Ostjerusalem stürmte.

Von 1973 bis 1974 und von 1977 bis zum Jahr 2006 war Scharon Abgeordneter, allerdings nicht für die Arbeitspartei seines einstigen Mentors Ben-Gurion, sondern für den Likud, den er selbst mitformiert hatte. Menachem Begin, der ab 1977 Israel regierte, ernannte ihn zunächst zum Landwirtschafts-, später zum Verteidigungsminister.

Gemeinsam begannen Begin und Scharon 1982 den Libanonfeldzug. Es ist das dunkelste Kapitel im Leben Scharons, der die Schlachten als Verteidigungsminister über weite Strecken hinter dem Rücken Begins führte. Ziel war, die PLO so weit zurückzutreiben, dass sie Israel nicht länger gefährlich werden konnte. Der Feldzug endete mit dem von christlichen Milizen verübten Massaker in den beiden palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila bei Beirut, dem Scharon keinen Einhalt gebot. Ein israelisches Militärtribunal erklärte ihn indirekt für das Massaker verantwortlich. Scharon durfte das Amt des Verteidigungsministers nicht mehr ausüben.

Das Urteil schien das politische Aus für Scharon zu sein, doch schon Anfang der 1990er-Jahre stand er wieder im Dienst des Staates, als er unter dem konservativen Yitzhak Schamir ins Bauministerium beordert wurde. Der „Bulldozer“ hatte eine neue Aufgabe. Innerhalb kürzester Zeit schaffte er Wohnraum für hunderttausende Immigranten aus den ehemaligen Sowjetstaaten und führte fort, was er als Landwirtschaftsminister angefangen hatte: Er baute Siedlungen.

1998 machte ihn sein späterer parteiinterner Erzrivale Netanjahu zum Außenminister. Scharon übernahm den Parteivorsitz nach der Wahlschlappe 1999, und schon zwei Jahre später schaffte er den Sprung ins höchste Regierungsamt. Zu diesem Zeitpunkt wütete die Zweite Intifada, die Scharon selbst mitausgelöst hatte, als er umgeben von hunderten Sicherheitsleuten den Tempelberg besuchte.

Wende zum Friedenspolitiker

In Reaktion auf den Terror schickte er die Armee in die palästinensischen Flüchtlingslager und setzte seinen jahrzehntelangen Erzrivalen, Jassir Arafat, in der Muqataa, dem Hauptquartier des Palästinenserpräsidenten, unter Hausarrest.

Als Scharon die Tonart wechselte, wusste niemand recht, ob er es ernst meinte. „Die Besatzung von 5,3 Millionen Palästinensern fortsetzen, das ist eine schlechte Idee, schlecht für Israel und schlecht für die Palästinenser“, sagte er im Mai 2003. Der Überraschung folgte Skepsis, und schließlich änderten sich die Fronten: Israels Linke unterstützte die Regierungspolitik mit Massenkundgebungen, während sich die Siedler im Gazastreifen für den Widerstand gegen die von Scharon geplante Evakuierung bereitmachten.

Der Likud kam mit dem Umdenken des Chefs nicht mit, und schon wenige Monate nach dem Abzug spaltete Scharon seine alte Bewegung, um die liberale Kadima zu gründen, die er bis zu seiner Erkrankung leitete. „Ich bin sicher, dass ich das überstehe“, glaubte Scharon noch nach seinem ersten leichten Schlaganfall, doch schon zwei Wochen später fiel er wegen einer Hirnblutung ins ewige Koma.

1948 Ariel Scharon kämpft als Soldat in der israelischen Befreiungsarmee. Dabei wurde er lebensgefährlichverletzt.

1967 Mit Härte und Taktik leitete der Brigadegeneral im Sechs-Tage-Krieg den erfolgreichen Sturm auf Ostjerusalem.

1982 Als Verteidigungsminister ließ Scharon das Massaker in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila im Libanon zu.

2000 Unter anderem sein Besuch am Tempelberg löste die zweite Intifada aus. Ein letztes Mal setzte Scharon auf
Gewalt, bevor er den Frieden propagierte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2014)

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