Ägypten: Die Armee greift nach der ganzen Macht

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Heute beginnt das zweitägige Verfassungsreferendum. Das Militär will damit seine Position festigen, bevor General Abdel Fattah al-Sisi selbst als Präsidentschaftskandidat in den Ring steigt.

Kairo. Entlang von Kairos Stadtautobahnen hängen dicht gestaffelt weiß-blaue Haken. „Ja zur Verfassung“ ist auf endlosen Plakatreihen zu lesen. Landauf, landab wird der neue Text in Jubelveranstaltungen „als die beste Verfassung in der Geschichte Ägyptens“ besungen. Die Telekom schaltete Sondernummern, über die sich Anrufer jeden der 247 Artikel über Telefon vorlesen lassen können. „Sein oder Nichtsein – darum geht es“, singen Kinder in einem von der Armee produzierten TV-Spot: Allah werde jeden für sein Votum zur Verantwortung ziehen, deklamieren Halbwüchsige im Chor und appellieren: „Gebt unser Land nicht der Vernichtung preis.“

Ein Nein dagegen ist im heutigen Ägypten tabu. Kritikern bleiben nur flüchtige Protestgraffitis an Häusermauern. Andere reißen nachts Plakate herunter, auffallend viele Ja-Haken sind mit roten Farbbeuteln beworfen, die Flecken wie von Blut hinterlassen. Junge Aktivisten, die in Kairos Zentrum Flugblätter gegen das Referendum am Dienstag und Mittwoch verteilten, landeten sofort im Gefängnis. Keine politische Partei wagt es dieser Tage, eine Nein-Kundgebung zur neuen Verfassung abzuhalten. Und das wichtigste politische Oppositionslager, die Muslimbrüder, wurde 20 Tage vor dem Urnengang kurzerhand als Terrororganisation verboten.

„Blamiert mich nicht vor der Welt“

Denn gefragt sind einzig Applaus und Akklamation – die neuen Herren von Militär, Polizei und Justiz wünschen keine Überraschungen. Für sie ist das Referendum mehr als ein Votum über das neue Grundgesetz Ägyptens. Mit der zweitägigen Abstimmung wollen sie auch ihren brutalen Feldzug gegen Muslimbruderschaft und Andersdenkende legitimieren lassen. 160.000 Soldaten und 130.000 Polizisten sind aufgeboten, um die rund 30.000 Wahllokale zu schützen. Am vergangenen Freitag kam es erneut im ganzen Land zu blutigen Unruhen und Demonstrationen, bei denen vier Menschen starben und zahlreiche Polizeifahrzeuge in Flammen aufgingen.

Trotzdem steht eine Stimmenmehrheit außer Zweifel, die Frage ist nur, wie hoch sie ausfällt. Das islamistische Grundgesetz vor gut einem Jahr wurde mit 63,8 Prozent ratifiziert. Bei einer Wahlbeteiligung von 32,8 Prozent machte ein Fünftel aller 53 Millionen Stimmbürger das Kreuz bei „Ja“. Diese Marke müssten die jetzigen Machthaber deutlich übertrumpfen, wollen sie beweisen, dass sie mehr Rückhalt im Volk haben als ihre gestürzten Vorgänger. „Blamiert mich nicht vor den Augen der Welt“, appellierte Ägyptens starker Mann, Militärchef Abdel Fattah al-Sisi, an seine Landsleute.

Weniger Religion, mehr Militär – so könnte das Motto über der neuen Verfassung lauten. Machtgewinner sind alle staatlichen Institutionen, die den Feldzug gegen die Muslimbruderschaft führen – Armee, Polizei und Justiz. Parteien „auf religiöser Grundlage“ werden von der Politik ausgeschlossen.

Doch längst geht es nicht mehr allein der Muslimbruderschaft, deren gesamte Führung hinter Gittern sitzt, an den Kragen. Auch die Demokratiebewegung sieht sich immer härter attackiert, obwohl sie im Sommer die Entmachtung Mursis zunächst unterstützte. „Wir waren am 30. Juni mit auf der Straße – und das erweist sich jetzt als schwerer Fehler“, bekannte kürzlich Ahmed Maher, Mitbegründer der „Jugendbewegung 6. April“ und einer der Ikonen des Arabischen Frühlings gegen Hosni Mubarak. Inzwischen sitzt er selbst in Haft, in einem würdelosen Schauprozess zu drei Jahren verurteilt. „Wir bestreiten nicht, dass Mursi Falsches gemacht und Dummes getan hat“, sagte er. Doch was nun ablaufe, sei „die Rückkehr zum alten Regime – dieselbe Unterdrückung, dieselbe Folter, dieselbe Korruption und dieselben Lügen in den Medien – nur alles noch viel schlimmer“.

Vertrauen in Allah, Armee und Polizei

Dabei hat sich der machtbewusste Armeechef Abdel Fattah al-Sisi bei seinem Putsch zunächst als Retter der Revolution von 2011 inszeniert. Inzwischen aber treiben ihn selbst Ambitionen auf das höchste Staatsamt. „Ich werde antreten, wenn das Volk dies verlangt und die Armee zustimmt“, erklärte er am Wochenende. Das Machtfeld jedenfalls hat der 59-Jährige bereits planiert – mit harter Hand, tausenden Verhafteten und Toten. Und wohin die Reise geht, daran ließ Ägyptens neuer Allmächtiger in seiner Rede vor Offizieren keinen Zweifel. „Wenn ihr Freiheit und Stabilität wollt“, wandte er sich an seine Landsleute, „dann müsst ihr Vertrauen haben in Allah, eure Armee und eure Polizei.“

HINTERGRUND

In der Nacht auf 4. Juli 2013 setzte das Militär den im Sommer 2012 gewählten islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi ab. Davor hatten die Moslembrüder eine neue Verfassung durchgepeitscht und damit Massenproteste ausgelöst. Nach wochenlangen Demos räumt die Armee Protestlager mit Mursi-Anhängern. Dabei werden nach Regierungsangaben mehr als 600 Menschen getötet. Eine Verhaftungswelle hochrangiger Muslimbrüder setzt ein. Auch Mursi wird vor Gericht gestellt. Am 25. Dezember, einen Tag nach einem Attentat auf ein Polizeihauptquartier, wird die Muslimbruderschaft von der Übergangsregierung offiziell als Terrororganisation eingestuft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2014)

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