Das Grundgesetz der Generäle

"Schönes" neues Ägypten: Die Herrscher legen eine Verfassung vor, die in der Theorie mehr Freiheiten verspricht – und unterdrücken zugleich jede Kritik.

Es ist das erste Mal, seit sie im Juli die Macht übernommen haben, dass Ägyptens neue Herren das Volk befragen. Und bei der Abstimmung am Dienstag und Mittwoch geht es – zumindest theoretisch – um nicht wenig: Es geht darum, welchen Weg das Land in den kommenden Jahren nehmen soll. Es geht um eine neue Verfassung. Was den Ägyptern nun zur Abstimmung vorgelegt wird, hat eine Kommission erarbeitet, die von den de facto regierenden Generälen eingesetzt worden ist. Zwar gibt es Verbesserungen gegenüber früheren Verfassungen, mit mehr Rechten für Frauen und Minderheiten. Doch erst der Realitätscheck wird zeigen, was davon zu halten ist.

So wie schon unter dem 2011 gestürzten Machthaber Hosni Mubarak besagt Artikel 2 der Verfassung, dass die Prinzipien des islamischen Rechts, der Scharia, Grundlage der Gesetzgebung sind – etwas, was in der Praxis alles und nichts bedeuten kann, wie man in den Mubarak-Jahren gesehen hat. Zuletzt haben die Islamisten einen eigenen Artikel hinzugefügt, um klarer zu machen, was das – für sie – bedeutet. Etwas, was vielen säkular denkenden Ägyptern und Christen zu Recht großes Unbehagen bereitete. Denn sie sahen darin den Ausgangspunkt für eine Islamisierung des Staates, die die Muslimbruderschaft im Verein mit den Salafisten voranzutreiben versuchte. Aber dieser Artikel wurde jetzt wieder gestrichen.

Seit dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi und der Zerschlagung der Muslimbruderschaft ist für so etwas kein Platz mehr. Dafür sorgen die Übergangsregierung und ihre Chefs, die Militärs.

Dass sie dafür notfalls auch mit Gewalt sorgen, haben sie in den vergangenen Monaten bewiesen. Die Auflösung der Protestcamps der Muslimbrüder durch die Sicherheitskräfte endete in einem Massaker.

Und die neuen Herren haben zuletzt auch bewiesen, dass es ihnen nicht ausschließlich darum geht, das Land vor den Gefahren des politischen Islam zu beschützen. Anfangs richtete sich die Repression des Staates gegen die Muslimbruderschaft. Mittlerweile sind aber auch liberale und linke Aktivisten ins Visier des Herrschaftsapparats geraten. Ahmed Maher und Mohammed Adel wurden zu Haftstrafen verurteilt – wegen eines „nicht genehmigten Protests“. Die beiden hatten die „Jugendbewegung 6.April“ gegründet: die Bewegung, die bei den Protesten gegen Mubarak an vorderster Front stand. Sie wurden im Westen als leuchtende Beispiele für heldenhafte, junge, gebildete, säkulare Ägypter gefeiert, die für mehr Demokratie kämpfen.

Wie wenig ihr damaliger Kampf für Demokratie heute in den Augen der ägyptischen Justiz wert ist, beweist das Urteil gegen die einstigen Revolutionäre. Egal, mit wie viel Pathos Ägyptens Regierende in ihren Festreden am 25.Jänner den Beginn des Aufstands gegen Mubarak vor drei Jahren feiern mögen: Der Richterspruch gegen Maher und Adel zeigt viel klarer, wo sich Ägypten auf dem Weg zu einem freieren, gerechteren Land tatsächlich befindet.

Dass in der neuen Verfassung etwa die Achtung der Presse- und der Meinungsfreiheit festgeschrieben wird, ist – wie einiges andere – lobenswert. Doch mit dem realen Leben in Ägypten hat das derzeit nicht viel zu tun. Einst war es untersagt, gegen Mubarak offen aufzutreten. Wer später Mursi kritisierte, wurde von den Muslimbrüdern als „gottlos“ und „Feind des Islam“ attackiert. Und heute gibt es neue Tabus: Wer hinterfragt, was die Generäle tun, wer bezweifelt, ob Militärchef Abdel Fatah al-Sisi tatsächlich der Retter Ägyptens ist, wird als Verräter gebrandmarkt.

So wie schon bei der „Putschrevolution“ gegen Mubarak und später bei der Absetzung Mursis hat das Militär nun erneut seine eigenen Interessen gewahrt. In der neuen Verfassung behält es den Status eines Staates im Staat. Die Generäle wollen auch in den kommenden Jahren im Hintergrund die Weichen dafür stellen, welchen Weg das Land nimmt. Nicht wenige Ägypter scheinen das sogar zu akzeptieren – zumindest derzeit noch. Denn der Wunsch nach mehr Würde und einem besseren Leben ist geblieben. Und er könnte erneut Zehntausende auf die Straße treiben.

E-Mails an:wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2014)

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