Schlittert Ägypten in einen Bürgerkrieg?

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Militärchef al-Sisi und seine Übergangsregierung wollen sich mit dem Verfassungsreferendum legitimieren, vertiefen dadurch aber die Polarisierung im Land.

Kairo. Jeder kennt ihn in Suez, den jungen ägyptischen Revolutionär Bassem Muhsen. Dessen kurze Lebensgeschichte ist so etwas wie die traurige Biografie der Revolution. Als der Aufstand gegen Mubarak losging, machte sich der 20-jährige Fabrikarbeiter von Suez auf den Weg zum Tahrir-Platz nach Kairo und blieb dort, bis Mubarak gestürzt war. Im November 2011 verlor er bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizei und Militär vor dem Innenministerium in Kairo ein Auge. „Wir haben die Revolution nicht gemacht, damit wir weiter unter den Stiefeln der Armee und Polizei leben“, sagte er damals. Aber auch den Muslimbrüdern misstraute er. Im Oktober 2012 wurde er von deren Anhängern vor dem Präsidentenpalast verprügelt, in dem Mohammed Mursi noch residierte. Ende Dezember vergangenen Jahres nahm er dann zusammen mit den Muslimbrüdern an Protesten gegen den Militärputsch in teil. Ihm wurde von der Polizei in den Kopf geschossen. Wenige Tage darauf verstarb er.

Erst hatte die Revolution nur noch ein Auge, ob sie inzwischen tot ist, darüber scheiden sich in Ägypten die Geister. Sicher ist: Der Sicherheitsapparat hat die Daumenschrauben angezogen. Gleichzeitig kommt es immer wieder zu Anschlägen auf Sicherheitskräfte, wie auf das Polizeihauptquartier in der Deltastadt Mansoura. Die Muslimbrüder verurteilten das Attentat, es bekannte sich eine andere radikale islamistische Gruppierung aus dem Nordsinai dazu. Trotzdem wurde die Muslimbruderschaft, die vor dem Putsch die größte politische Organisation des Landes war, zur terroristischen Organisation erklärt.

Für sie zu demonstrieren kann nach dem Antiterrorgesetz mit fünf Jahren Haft geahndet werden. Dennoch hören die Demonstrationen nicht auf. Immer wieder gibt es freitags Tote und hunderte Verhaftete, über die schon kaum mehr berichtet wird. Und bei all dem stellt sich die Frage, ob damit Terror verhindert oder erst geschaffen wird. Die Angebote militanter Gruppen stehen. Pessimisten malen in Ägypten inzwischen ein algerisches Szenario an die Wand. Auch dort tauchten Islamisten, nachdem ihnen der Wahlsieg geraubt worden war, in den Untergrund ab. Danach tobte ein blutiger Bürgerkrieg.

Weggesperrt werden in Ägypten mittlerweile auch säkulare Tahrir-Aktivisten, meist weil sie gegen das neue restriktive Demonstrationsrecht verstoßen haben. Revolutionsikonen wie Ahmad Maher, von der 6.-April-Bewegung, wurden zu drei Jahren Haft verurteilt. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die neuen Machthaber Ägyptens sich zwar gern mit den Massendemonstrationen gegen den Muslimbruder-Präsidenten Mursi begründen, dann aber als Erstes das Demonstrationsrecht einschränken.

Die Palette der Repression reicht vom Vorgehen gegen den 15-jährigen Schüler Khaled Abdel-Ghani, der verhaftet wurde, weil sich auf seinem Lineal das Vier-Finger-Zeichen der Anti-Putsch-Bewegung befand, bis hin zur Angelegenheit um Abla Fahita, eine bekannte, den Muppets nachempfundene Fernsehpuppe, gegen die die Staatsanwaltschaft ermittelte, weil die Puppe in einem Werbespot eines Mobilanbieters angeblich kodierte Hinweise für einen bevorstehenden Anschlag gegeben haben soll. Die Unterdrückung hat oft die Züge einer drittklassigen Seifenoper. Selbst ein ägyptischer Schiedsrichter wagte es nicht mehr, mit einer Hand vier Minuten Nachspielzeit anzuzeigen, und hob seine beiden Hände stattdessen zu einem zweifachen Victory-Zeichen.

Bei all dem hofft ein großer Teil der Ägypter, dass das Militär unter der Führung von Abdel Fatah al-Sisi die ersehnte Stabilität herstellt, mit der es mit dem Land wirtschaftlich wieder aufwärtsgehen soll. Viele glauben, dass es nach dem jetzigen Verfassungsreferendum besser wird. Es geht zunächst nicht nur um den Inhalt der neuen Verfassung. Die Militärführung und deren Übergangsregierung wollen mit dem Verfassungsreferendum nachträglich ihren Putsch legitimieren. „Die Option beim Referendum ist Si oder Si“, lautet ein Witz, der auf Twitter die Runde machte, in Anspielung auf den Namen des Militärchefs, der auch für die nächsten Präsidentschaftswahlen kandidieren könnte.

Fragwürdiger Fahrplan zur Demokratie

Entscheidend wird sein, wie viele Ägypter überhaupt abstimmen. Aber niemand weiß, wie sehr die Wahlbeteiligungszahlen manipuliert werden können. Der Streit nach dem Referendum ist jedenfalls vorgezeichnet. Die Armee möchte mit dem Referendum auch signalisieren, dass sie es mit ihrem Fahrplan zurück zur Demokratie ernst meint. Demnächst sollen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden.

In welcher Reihenfolge, muss erst festgelegt werden. Wie repräsentativ die künftigen Wahlen tatsächlich sind, darf hinterfragt werden. Ein wesentlicher Teil der politischen Landschaft ist ausgegrenzt. So wird auch die neue Verfassung die Polarisierung des Landes eher vertiefen. Die Befürworter der jetzigen Militärführung werden sie durchbringen, die Gegner nicht davon überzeugt sein. Und es fehlt jegliches Instrument, die Differenzen friedlich beizulegen. Sie werden weiter auf der Straße ausgetragen, bestenfalls durch Demonstrationen, schlimmstenfalls mit einer Welle von Anschlägen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2014)

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