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China testet Hyperschall-schnellen Angriffsflugkörper

Vergleichbarer Hyperschall-Projekt der USA namens HTV-2
Vergleichbarer Hyperschall-Projekt der USA namens HTV-2DARPA
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US-Satelliten bemerkten am 9. Jänner über China eine Art Raketengleiter, der mit zehnfacher Schallgeschwindigkeit flog - das ist absolute Hochtechnologie.

Noch vor nicht allzu langer Zeit haben ausländische Militärexperten Chinas Waffenarsenal eher belächelt. Die Raketen, Panzer und Flugzeuge, die die Volksbefreiungsarmee auf diversen Militärparaden präsentierten, wirkten marod und galten technisch als veraltet bis bescheiden. Inzwischen aber haben die Chinesen enorme Fortschritte gemacht - und entwickeln sich zu einer handfesten Bedrohung für die USA, in erster Linie im pazifischen Raum.

Und nun hat China offenbar auch noch eine wesentliche technologische Schwelle überschritten: Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums hat das chinesische Militär einen Flugkörper getestet, der angeblich Hyperschallgeschwindigkeit erreichte. Darunter versteht man eine vielfache Schallgeschwindigkeit, in der Regel ab der Fünffachen, anders ausgedrückt "Mach 5".

Ohne in jedes Detail gehen zu wollen: Ein Mach, in der Luftfahrt die Messzahl für die Fluggeschwindigkeit im Verhältnis zur Schallgeschwindigkeit, ist abhängig von Luftdichte und Lufttemperatur, weil beide Faktoren die Schallgeschwindigkeit beeinflussen. Bei 0 Grad beträgt die Schallgeschwindigkeit - also Mach 1 - 1193 Kilometer pro Stunde, bei -50 Grad sind es 1076 km/h; Mach 5 heißt also im konkreten Fall grob etwa 5400 bis 6000 km/h.

Langstreckenrakete als Starthilfe

Laut US-Angaben, die später im Grunde vom chinesischen Verteidigungsministerium bestätigt wurden, hatte zunächst eine militärische Langstreckenrakete den Gleiter als Nutzlast an ihrer Spitze in große Höhe gebracht, einigen Quellen zufolge ins All, was also mehr als 100 Kilometer Höhe bedeuten würde.

Dort löste sich der Gleiter, dessen Name vorerst mit WU-14 angegeben wird, und flog los. Über die dabei zurückgelegte Distanz gab es vorerst keine Angaben, die Geschwindigkeit wurde indes mit sagenhaften Mach 10 angegeben, das wären um die 11.000 km/h. Die Angabe dürfte allerdings übertrieben sein, es ist aber von mindestens Mach 5 auszugehen. 

USA hätten gern Vorwarnung gehabt

"Weil wir routinemäßig die ausländischen Verteidigungsaktivitäten beobachten, haben wir von dem Test erfahren", sagte Pentagon-Sprecher Jeffrey Pool gegenüber US-Medien. Zugleich kritisierte er die Informationspolitik der Chinesen: "Um Fehleinschätzungen zu vermeiden, würden wir uns von China mehr Transparenz wünschen."

Hyperschallschnelle Flugkörper sind so ziemlich die schnellsten derzeit praktisch machbaren und lenkbaren Fluggeräte für die Atmosphäre und den erdnahen Raum; ihre Technik ist zwar an sich sehr simpel, aber in der Umsetzung extrem kompliziert (siehe weiter unten), sodass es derzeit nur sehr wenige anwendbare, und vor allem steuerbare und wiederverwendbare, Modelle gibt. Bisheriger technologischer Führer sind dabei die USA.

Künftig könnten solche Geräte binnen weniger Stunden jeden Ort der Erde erreichen - und natürlich angreifen, etwa mit Bomben. Dabei sind sie schwerer vom Radar erfassbar als Langstreckenraketen, vor allem aber lassen sich, sofern sie wie Flugzeuge steuerbar sind, ihre Zielgebiete nicht vorherberechnen - bei Raketen kann man das aufgrund der ballistischen Flugbahn sehr wohl. Und weil Hyperschallflugkörper schneller sind als aktuelle Luftabwehrraketen, können sie Abwehrschilder leichter durchdringen.

Chinas Abschied von Defensiv-Doktrin

Mit diesem Test verabschiedet sich die chinesische Führung einmal mehr von ihrer Doktrin, die Deng Xiaoping zu Beginn von Chinas Öffnungspolitik Anfang der 80er-Jahre vorgegeben hatte: Damals versprach Deng, dass die Volksrepublik sich auf keinen Rüstungswettlauf einlassen werde und lediglich auf Selbstverteidigung setze. Offiziell gilt diese Doktrin bis heute.

Waffentaugliche Flugkörper im Hyperschall-Bereich dienen jedoch vorwiegend offensiven Zwecken. Schon seit einiger Zeit beobachten Militärexperten eine Kehrtwende in der chinesischen Verteidigungspolitik. So verfügt China auch über ein eigenes Satellitennavigationssystem in Konkurrenz zum US-kontrollierten GPS. Nun hat der Rüstungswettlauf um den Hyperschall-Bereich begonnen.

Technische Basis: das "Staustrahltriebwerk"

Die technische Basis solcher Flugkörper ist von der Idee schon mehr als 100 Jahre alt und theoretisch extrem simpel: Man nennt sie "Staustrahltriebwerk" (auch Ramjet oder Scramjet). Im Grunde ist das nur ein Rohr, in das Brennstoff gespritzt wird, der sich mit Luft vermischt, verbrennt und wie bei jedem anderen Düsentriebwerk auch Schub erzeugt.

Im Gegensatz zu einer gewöhnlichen Flugzeugturbine sind (außer der Treibstoffpumpe) aber keine beweglichen Teile im Rohr - vor allem nicht jene massiven, schnell rotierenden Verdichterschaufeln, die Luft ansaugen, stark komprimieren und so erst Verbrennung und Rückstoß richtig „anheizen", vor allem beim Start und bei niedrigen Geschwindigkeiten. Die Kompression der Luft wird vielmehr allein durch ihre schnelle Einströmung und Abbremsung im Inneren des Rohrs erzeugt - was natürlich voraussetzt, dass man diesen Antrieb, das Rohr, erst einmal durch eine externe Starthilfe beschleunigen muss, bis er selber zünden kann. Als „Sprunggeschwindigkeit" sollten etwa 2000 km/h erreicht werden, ab dann kann das Triebwerk sich selbst weiter beschleunigen. Ein Start aus dem Ruhezustand heraus ist unmöglich.

Cryonic07/Emoscopes/CC BY-SA 3.0

Das Prinzip des auf deutsch „Staustrahltriebwerk" genannten Antriebs (eben weil sich die Luft im Rohr durch dessen eigene Vorwärtsbewegung staut) hat erstmals der Franzose René Lorin 1913 in einer Publikation im Magazin „Aérophile" beschrieben. Man unterscheidet heute zwischen „Ramjet" und „Scramjet": Bei ersterem Typ, dem älteren (siehe auch die Grafik), wird die einströmende Luft unabhängig von der Geschwindigkeit des Flugkörpers jedenfalls auf Unterschallgeschwindigkeit (kleiner als etwa 1080 km/h) abgebremst und mit Treibstoff vermischt, weil eine effektive Verbrennung bei Unterschallgeschwindigkeit noch einfach ist. Ein Ramjet erreicht bis etwa Mach 7.

Das Mischen ist das Problem

Durch einen Scramjet hingegen rast die Luft weitgehend ungebremst hindurch. Die Verbrennung von Luft und Treibstoff muss im Rohr also im Überschallbereich stattfinden, was extrem schwer zu bewerkstelligen ist: Immerhin sind die Luftmoleküle ja nur Bruchteile von Millisekunden in der Röhre; um sie mit Treibstoff zu mischen und reagieren zu lassen, bleibt also fast null Zeit.

U.S. Air Force

Scramjets werden auch weit heißer als Ramjets, können aber im Endeffekt deutlich schneller sein, mehr als Mach 10, ja Mach 15.

Wegen der enormen aerodynamischen Belastung im Triebwerk und rundherum sowie der großen Hitzeentwicklung sind Staustrahltriebwerke praktisch dann also doch sehr schwer zu bauen und fanden wenig Anwendung, etwa bei manchen Luftabwehrraketen und beim US-Spionageflugzeug SR-71 „Blackbird". Und ein Scramjet-Flug gelang überhaupt erst 2002 australischen Ingenieuren; 2004 folgte die X-43 der Nasa.

USA als Technologieführer

Im Mai 2010 schrieben die USA Technikgeschichte, als von einem B-52-Bomber der Luftwaffe aus in 15 Kilometer Höhe über dem Pazifik ein Scramjet-Marschflugkörper startete, der 200 Sekunden lang mit Mach 5 (ca. 5500 km/h) flog. Es war der bis dato längste Flug eines Scramjets.

Waverider an einer B-52
Waverider an einer B-52US Airforce

Das keilförmige, beim Start etwa acht Meter lange und mindestens 1800 Kilo schwere Gerät namens X-51 „Waverider" (Wellenreiter") jagte bis in eine Höhe von rund 21 Kilometer, als der Antrieb aus unbekannten Gründen aussetzte und das Ding ins Meer fiel. An sich hätte der Flug 300 Sekunden dauern sollen; Experten nannten ihn dennoch einen „technologischen Markstein", der mit jenem verglichen werden könne, als kurz nach dem Zweiten Weltkrieg Propellermotoren bei Flugzeugen weitgehend durch Strahltriebwerke abgelöst wurden.

Auch Indien mischt mit

Interessanterweise zählt auch Indien zur Avantgarde der Scramjet-Forschung: Dessen Raumfahrtbehörde „Isro" arbeitet an einem kleinen Hyperschall-Shuttle mit dem (informellen) Namen „Avatar", das Satelliten weit billiger ins All bringen soll als Raketen.

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