Inflation und Arbeitslosigkeit seien gering, das Wachstum gut, heißt es aus dem rechten Lager. Das alles täusche, meint die Linke.
Budapest. Wenn sich in Ungarn an etwas die Geister besonders scheiden, dann ist das der heutige Zustand der Wirtschaft. Bei der Beurteilung deren Situation im Land gibt es heute zwei diametral entgegengesetzte Lesarten, eine linke und eine rechte.
Während rechte Medien und Experten Oden an die „segensreiche Wirtschaftspolitik“ der nationalkonservativen Regierung von Viktor Orbán singen, übt die Linke scharfe Kritik am gegenwärtigen Wirtschaftskurs. Die Regierung und die ihr nahestehenden Medien führen nicht zuletzt die Fakten ins Treffen: Ungarn hat heute so viele Beschäftigte – vier Millionen – wie zuletzt vor mehr als 20 Jahren; die Inflation ist so niedrig wie zu Beginn der 1970er-Jahre; das Haushaltsdefizit des Landes lag im Vorjahr nach 2012 bereits zum zweiten Mal unter drei Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP).
Das Wirtschaftswachstum hat in den vergangenen Monaten kräftig angezogen, ebenso die Binnennachfrage im Land. Alles in allem, tönt die Rechte, befinde sich die ungarische Wirtschaft in einem dynamischen Aufwärtstrend, an dessen Ende Ungarn eines der wettbewerbsfähigsten Länder Europas sein werde.
Die linke Opposition sieht alles anders
Das ist alles nur schöner Schein, meint die Linke. Die Wirtschaftspolitik der Regierung ließe Nachhaltigkeit vermissen, sie sei von orientierungslosen Improvisationen geprägt. Die positiven Wirtschaftszahlen gäben nach Meinung der meisten linken Wirtschaftsexperten ein falsches Bild von der Realität. Laut dem ehemaligen Finanzminister des Landes, Lajos Bokros (1995–1996), steht das gesamte Wirtschaftsgefüge Ungarns auf schwankendem Grund. Und als ob das nicht genug wäre warnt Bokros auch vor einer Fortsetzung der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik der Regierung. Diese führe nämlich in den sicheren Abgrund, so Bokros.
Der wahre Zustand der ungarischen Wirtschaft dürfte irgendwo zwischen den zwei konkurrierenden Lesarten liegen. (pbo)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2014)