Rückgratlosigkeit ist keine olympische Disziplin

Präsident Putin sind die Winterspiele in Sotschi ein Herzensanliegen. Eine gute Gelegenheit, Menschenrechtsverletzungen in Russland zu thematisieren.

Österreich kann sich auf einen Medaillenregen bei den Olympischen Winterspielen gefasst machen. Denn nicht nur Bundeskanzler Werner Faymann, auch Verteidigungsminister Gerald Klug wird nach Sotschi reisen, um die Athleten zu „unterstützen“. So viel Hilfe von oben muss sich fast zwangsläufig beflügelnd auswirken. Die Präsenz der rot-weiß-roten Höchstleistungspolitiker wird zweifelsohne Nachahmungseffekte auf sportlicher Ebene nach sich ziehen und ungeahnte Energien unter Österreichs Sportlern freisetzen. Gregor Schlierenzauer und Thomas Diethart springen mindestens zehn Meter weiter, Marcel Hirscher wedelt garantiert um eine Sekunde schneller, wenn Faymann oder Kurz im Zielraum auf sie warten und vielleicht sogar ein kleines Fähnchen schwenken. Sogar Oppositionsführer Heinz-Christian Strache hat eine Fanfahrt nach Russland angekündigt. Bei einem derart beeindruckenden Schulterschluss kann nichts mehr schiefgehen.

Schade nur, dass politische Rückgratlosigkeit keine olympische Disziplin ist, da wäre Österreich einer der großen Favoriten auf Gold. Sollen doch Staatsoberhäupter und Regierungschefs aus anderen Ländern auf Menschenrechtsverletzungen in Russland aufmerksam werden und sich den Zorn von Präsident Wladimir Putin zuziehen, indem sie demonstrativ dem Sportspektakel am Schwarzen Meer fernbleiben. Wenn ohnehin schon Deutschlands Präsident Joachim Gauck, US-Präsident Barack Obama, Frankreichs Präsident François Hollande oder EU-Kommissarin Viviane Reding die Spiele boykottieren, können Österreichs Spitzenrepräsentanten ja ruhig kommen. Moralische Skrupel überlassen die geschäftstüchtigen Alpenakrobaten der gemütlichen Wurschtigkeit grundsätzlich gern den anderen, solange nur der Rubel rollt, der Gashahn offen bleibt und Putin sie lieb hat.

Dem russischen Präsidenten sind die Olympischen Spiele in Sotschi ein Herzensanliegen. Er hat viel in sie investiert, es sind seine Spiele. Gerade deshalb wäre er empfänglich für Druck. Es war kein Zufall, dass sich der Kreml-Herrscher vor Weihnachten von seiner gnädigen Seite zeigte, das Verfahren gegen Greenpeace-Aktivisten einstellte und sowohl die Sängerinnen von Pussy Riot als auch seinen Rivalen, den Ex-Oligarchen Michail Chodorkowski, aus der Haft entließ. Putin versuchte damit, Kritikern der Menschenrechtslage in Russland vor Beginn der Olympischen Spiele in Sotschi den Wind aus den Segeln zu nehmen. Er will sich sein Sportfest nicht vermasseln lassen.

Diesen Hebel auf der olympischen Bühne sollten Verfechter demokratischer Werte nützen, um weitere Zugeständnisse zu erreichen. Sinnvoll erschiene es deshalb, wenn Politiker ihre Zu- oder Absage in Sotschi möglichst lange hinauszögerten. Und wenn sie sich dann letztlich doch dafür entscheiden, neben Putin und anderen russischen Würdenträgern auf der Ehrentribüne Platz zu nehmen, sollten sie wenigstens den Mut haben, die Missstände im Gastland deutlich anzusprechen.

Für Demokraten ist es inakzeptabel, wie die russische Regierung gegen grundlegende Regeln des Anstands und des Rechtsstaats verstößt, indem sie die Justiz und die Polizei auf ihre Gegner hetzt, Medien knebelt und gängelt sowie der Korruption Tür und Tor öffnet. Und es ist einfach menschenunwürdig, wie das offizielle Russland Schwulenfeindlichkeit durch einen abartigen Gummiparagrafen schürt, der die „Propaganda“ für gleichgeschlechtliche Liebe unter Strafe stellt. Minister Klug hat im Interview mit der „Presse“ (Seite 3) angekündigt, „Grundhaltungen vor Ort zu thematisieren“. Wahrscheinlich meinte er mit dieser Chiffre Menschenrechte. Man sollte ihn beim Wort nehmen.

Natürlich sind gute Beziehungen zu Russland im wirtschaftlichen Interesse Österreichs. Das bedingt jedoch keineswegs, dass österreichische Regierungsmitglieder deshalb Menschenrechtsverletzungen verschweigen und Putins Spiele mit ihrer Anwesenheit behübschen müssen. Olympische Wettbewerbe können durchaus auch ohne Politiker stattfinden. Es mindert den sportlichen Wert nicht, wenn die Athleten unter sich und Minister vor den Fernsehgeräten bleiben.

E-Mails an:christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2014)

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