Die alte Wassermühle am Stromnetz

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Seit 1903 wird in der Jostmühle im südlichen Burgenland Mehl gemahlen - mit einem Wasserrad. Andreas Novy kümmert sich heute, neben seinen Turopolje-Schweinen, um die alte Mühle und mahlt Weizen, Roggen, Dinkel, Mais und Buchweizen.

Eigentlich ist die Jostmühle im südburgenländischen Windisch-Minihof die letzte funktionierende Wassermühle im Nationalpark Raab. Die aus 1903 stammende kleine Mühle ist nach wie vor in Betrieb. Andreas Novy mahlt hier seinen Weizen, Roggen, Dinkel, Mais und Buchweizen. Das Vollkornmehl wird sogar noch mit dem mehr als hundert Jahre alten Mühlstein hergestellt. Bei den ganz feinen, glatten Mehlen kommen die drei etwas jüngeren Walzstühle zum Einsatz.

Und eigentlich ist das Wasser im kleinen Stausee für diese Jahreszeit gut gefüllt, und auch das große Holzrad sitzt nach wie vor an der richtigen Stelle. „Aber es gehört renoviert, das Holz ist morsch, das muss man austauschen. Seit einem Jahr diskutiere ich mit der Gemeinde, aber das ist ein schwieriger Prozess.“ Seit einem Jahr also kann sich Herr Novy nur theoretisch damit rühmen, dass er der Letzte in dieser Region beim Dreiländereck Österreich-Slowenien-Ungarn ist, der mit einer Wassermühle arbeitet. Aber das kümmert ihn wenig, er arbeitet ohnehin seit Jahren mit elektrischer Unterstützung.

„Da bring ich das Stromnetz schon sehr ans Limit. Ich hab auch schon mal der halben Ortschaft das Licht abgedreht“, sagt Novy fast ein bisschen stolz. Alle paar Wochen wird in der Mühle gemahlen. Je nach Jahreszeit und Wetter: Im Sommer, wenn es zu heiß ist, wird nicht gemahlen – da ist nämlich sein größter Feind, die Lebensmittelmotte, besonders aktiv. Wenn es zu kalt ist, hat die Mühle ebenso Pause, immerhin ist sie weder geheizt noch isoliert. Im Dachstuhl, in dem sich alle möglichen alten Gerätschaften befinden – von einem Aspirateur (einer Maschine, die das Getreide reinigt) über Siebmaschinen bis zu Grießputzmaschinen –, pfeift der Wind.

„Wir warten darauf, dass das Wasser einfriert, damit man Eisstock schießen kann. Die Langlaufloipe ist auch schon gerichtet, aber wenn es so warm bleibt, dann mahl ich halt wieder“, sagt Novy, der eigentlich Landwirt ist. Im Ort betreibt er fünf Hektar Getreide, eben Weizen, Roggen, Dinkel, Mais und Buchweizen – „wobei Buchweizen nicht immer funktioniert. Heuer war es im Sommer zu heiß und trocken, da geht er nicht mehr auf.“ Daneben hält er rund 50 Turopolje-Schweine, die er selbst zu Schinken und Speck verarbeitet – „Fleischhauer finden wir keinen“ –, und ein paar Ziegen – „grad so viele, dass ich nicht mähen muss“. Außerdem macht er Honig, Schnaps und Fruchtsäfte. Von einem Apotheker lässt er Seifen aus Schweinefett und Schaftalg herstellen. Die Produkte verkauft er gemeinsam mit im Holzofen gebackenem Brot in dem kleinen Mühlenladen.

Crashkurs in der Getreidemühle

Vor sechs Jahren hat die Gemeinde jemanden gesucht, der sich um die Mühle kümmert. Novys Vorgänger hat die Arbeit wegen gesundheitlicher Probleme– der Rücken – aufgegeben. „Also hab ich mir gedacht, da ich Getreide hab und Brot backe, kann ich das auch noch machen.“ Gelernt hat er den Umgang mit den Maschinen in einem einjährigen „Crashkurs“, wie er ihn nennt, bei seinem Vorgänger und anderen Müllermeistern.

Novy hat Respekt vor dieser Arbeit, das merkt man an der Art, wie er darüber spricht. „Gearbeitet wird nach Farben, Fingergefühl und Griffigkeit. Das Labor fehlt hier“, sagt er. Das dürfte ihm aber auch nicht abgehen, von der Industrie hält er wenig. „Ich habe lange in der Gastronomie gearbeitet und eine Phobie, was gewisse Lebensmittel betrifft, weil ich weiß, wie die industrielle Seite arbeitet“, sagt er und bringt seinen Lieblingsfeind zur Sprache: die Lebensmittelmotte. Die Industrie arbeite so, dass „das Viech ein Jahr ums Packerl kreist“, so sehr werde das Mehl bearbeitet. „Auf so ein Mehl“, sagt er und deutet auf seine Mühle, „gehen's aber gleich.“

An die 500 Kilogramm Getreide verarbeitet er an einem Acht-Stunden-Tag. „Am Anfang ist es noch ruhig, aber gegen Ende wird es richtig hektisch.“ Zuerst wird das Getreide gereinigt. Für den Dinkel steht im Erdgeschoß eine Entspelzmaschine bereit, die Körner werden weiterverarbeitet, die Spelze wird für Einstreu oder Dinkelkissen verwendet. Danach kommt der Dinkel so wie alle anderen Getreidearten zur Reinigung, die sich im Dachstuhl befindet. Transportiert wird das (gemahlene) Getreide über kleine, alte Aufzüge aus Holz. „Das pfeift es immer recht durch, ein, zwei Kilo Mehl werden da schon verstreut.“ Danach kommt das Getreide im Zwischengeschoß in eine Schälmaschine, die nur die äußere Schale abschleift. „Die haben einen guten Selbstschutz, das ist nur die Schale, in der sich Käfer einnisten, die kommt weg.“ Dann geht es wieder Richtung Dachboden, wo Wasser dazukommt – je nach Feuchtigkeit, aber nie mehr als 15 Prozent, sonst verkleben die Rohre. Dann bleibt das Getreide sechs bis acht Stunden im Schüttkasten – so lange, bis die Schale ein bisschen zäh ist, das Mehl aber trocken bleibt.

15 bis 20 Mahlvorgänge

Jetzt beginnt der erste Mahlvorgang im Walzenstuhl. Nach jedem Mahlen wird händisch kontrolliert und die Maschine neu eingestellt. Das feine Mehl wird abgepackt, die gröberen Teile machen noch eine Runde. 15 bis 20 Mahlvorgänge braucht es in etwa. „Man muss immer ein Auge auf das Produkt und ein ,Ohr auf die Geräte‘ haben.“ Gemahlen wird in den Kategorien glatt, griffig, Dunst oder Grieß. Novy mahlt nicht nur sein eigenes Getreide, sondern auch als Lohnmüller für andere Landwirte.

Der alte Mühlstein kommt nur für Vollkornmehl zum Einsatz. „Da wird alles gleichmäßig zerrieben: Schale und Mehlkörper.“ Wann er das Gerät wieder ohne elektrische Hilfe betreiben kann, weiß er nicht. Denn dazu braucht es nicht nur Geld, um das Rad zu reparieren. Es muss auch genug Wasser da sein. „Nach zweieinhalb Stunden ist Schluss, da ist der Stausee leer.“ Das Stromnetz der Windisch-Minihofer muss also noch länger herhalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2014)

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