Neuer Angriff auf die NSA

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USA FEATURE PACKAGE WELCOME TO WATCHINGTON(c) APA/EPA/JIM LO SCALZO (JIM LO SCALZO)
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Der NSA-Aufdecker James Bamford erklärt im Gespräch mit der »Presse am Sonntag«, wie er die US-Telefonüberwachung durch die Geheimdienste vor Gericht kippen will. Von den Reformversprechen Präsident Obamas hält er nicht viel.

Wer einst dem Druck Ronald Reagans widerstanden hat, den lässt die Redekunst Barack Obamas kalt. „Obama hat keine gute Bilanz, was den Schutz der Privatsphäre und das Umsetzen von Ankündigungen betrifft. Zudem muss er die Republikaner und Geheimdienstleute besänftigen“, resümiert James Bamford im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“ die Ankündigung des Präsidenten vom Freitag, die Überwachung hunderter Millionen unbescholtener Mobilfunkbenutzer in aller Welt durch die National Security Agency (NSA) eindämmen zu wollen. „Und dann war da auch noch dieser Hurra-Patriotismus, all dieses Gerede davon, wie die Geheimdienste sich Tag und Nacht darum bemühen, alle möglichen Gefahren abzuwehren.“

Dass die Welt weiß, was die NSA ist und wie sie in die Privatsphäre der Menschen eindringt, ist den hartnäckigen Recherchen des 67-jährigen Juristen, früheren Marine-Nachrichtendienstlers und investigativen Journalisten Bamford zu verdanken. Nachdem Präsident Harry Truman die NSA 1952 in den letzten Tagen seiner Amtszeit heimlich gegründet hatte, um das Fernmeldewesen ausländischer Regierungen auszuspionieren, sollten 30Jahre vergehen, bis die amerikanische Öffentlichkeit Kenntnis von diesem geheimsten aller Geheimdienste nehmen durfte. „The Puzzle Palace“ nannte Bamford sein 1982 erschienenes Buch.

Beinahe hätte das Weiße Haus Ronald Reagans die Veröffentlichung dieser ersten Untersuchung der NSA verhindert. Bamford hatte von Geheimdienstlern Akten zugespielt bekommen. Reagans Männer wollten Bamford zur Rückgabe dieser Dokumente zwingen und ihre Zitierung untersagen. Doch der Mann mit der Miene eines abgebrühten Pokerspielers behielt die Nerven, focht den Streit um die NSA-Papiere gerichtlich aus und gewann.

Die Verlässlichkeit seiner Quellen in der Geheimdienstwelt sind seither legendär. Da er weiß, wie wichtig es für eine Gesellschaft ist, dass ihre Amtsträger staatsbürgerliches Gewissen vor Dienstvorschrift stellen, ist Bamford über die strafrechtliche Verfolgung von Edward Snowden, dem Aufdecker der Handy-Metadatenüberwachung und zahlreicher anderer Grenzüberschreitungen der NSA, besonders zornig: „Obama sagte in seiner Rede, diese Debatte über das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit mache Amerika stärker.

Warum will er dann aber den Mann, der diese Debatte begonnen hat, wegen Hochverrats hinter Gitter bringen?“ Auch Obamas Behauptung, die USA seien der Vorreiter beim Schutz der Privatsphäre in der digitalen Welt, kostet Bamford nur ein müdes Lachen: „Die USA sind nicht an der Vorfront. Europa ist es – und Amerika hinkt hinterher.“

Greenpeace und Waffenfans. Um das zu ändern, beschreitet Bamford nun den Rechtsweg. Gemeinsam mit der Electronic Frontier Foundation, einer im Ringen um den Schutz der Grundrechte führenden Nichtregierungsorganisation mit Sitz in San Francisco, und zahlreichen privaten Nebenklägern hat er vor einem Gericht in Kalifornien eine Klage gegen die NSA eingebracht. Ihr Programm zur Sammlung von Telefon-Metadaten (das sind die Namen, Nummern, angerufenen Nummern und Rufzeiten) verstoße gegen den ersten Zusatz zur US-Verfassung, konkret: gegen das Grundrecht auf Vereinsfreiheit. Wenn die NSA nämlich ständig erhebe, dass ein Bürger oft mit Mitgliedern einer bestimmten Vereinigung telefoniere, könne sie einfach folgern, dass dieser Bürger Mitglied besagter Vereinigung ist. Und wenn die Bürger davon ausgehen müssen, dass ihnen die Regierung ständig über die Schulter schaut (beziehungsweise auf ihr Handydisplay), sind sie weniger willens, sich frei zu Vereinen zusammenzufinden.

Bespitzelung von Bürgerrechtlern.Diesen Grundsatz hat der Oberste Gerichtshof der USA bereits 1958 in einem Grundsatzurteil ausformuliert; damals ging es um die Bespitzelung schwarzer Bürgerrechtsaktivisten durch die Polizeibehörden von Alabama. Die von Bamford unterstützte Klage in der Sache „First Unitarian Church of Los Angeles vs. NSA“ bringt ein auf den ersten Blick erstaunliches Bündnis verschiedenster Gruppen zusammen: kirchliche Anti-Kriegsdemonstranten mit einem Hersteller von Sturmgewehren, Greenpeace mit der kalifornischen Waffenlobby und einem amerikanisch-islamischen Verein.

Für Bamford ist das ein Zeichen für die Stärke der Allianz: Abseits ihrer sonstigen Weltanschauungen eint die Kläger der Unwille, sich von der Regierung unbotmäßig ausschnüffeln zu lassen. Dies ist bereits die dritte Klage gegen die NSA-Telefonüberwachung. Vor Weihnachten haben zwei Richter in getrennten Verfahren einmal für und einmal gegen die NSA geurteilt.

Bamford kennt Richard Leon, den Richter, der das NSA-Programm als verfassungswidrig bewertete, aus Jugendtagen: „Wir haben gemeinsam Jus studiert. Er ist sehr konservativ. Wir waren noch nie in einer Sache derselben Meinung – bis zum Tag seines Urteils.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2014)

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