Christine Nöstlinger: "Ich war ein ziemlich armes Kind"

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Die Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger erzählt der "Presse", warum sie heute nicht mehr so schnell erfolgreich werden könnte. Ein Gespräch über Armut, Geldausgeben und Minikleider.

Die Presse: Frau Nöstlinger, in Österreich sind Sie vielen ein Begriff. Zum Schreiben sind Sie aber erst spät gekommen. Warum?

Christine Nöstlinger: Ich habe die Aufsätze geschrieben, die man im Gymnasium schreiben muss, erntete kaum Lob, und es hat mich auch kaum interessiert. Das hat damit zu tun, dass ich große Schwierigkeiten hatte, mich nur halbwegs hochdeutsch auszudrücken. Ich bin im tiefsten Hernals aufgewachsen und konnte nur den Wiener Dialekt. Dafür konnte ich zeichnen und rechnen.

Wann haben Sie Gefallen am Schreiben gefunden?

Ich kann mich erinnern, dass ich mit 15 oder 16 Briefe schrieb, von denen Freunde sagten, das seien sehr herrliche Briefe. Die waren aber schon sehr epigonenhaft nach Kurt Tucholsky oder Erich Kästner.

Wann ist Ihnen aufgefallen, dass Sie Kinderbücher schreiben können?

Das merkt man gar nicht, denn die Urteile über Kinderliteratur fällen ja Erwachsene. Es gibt Kinder, die meine Bücher mögen, aber sicher auch welche, die meine Bücher gar nicht mögen. Gerade in heutigen Zeiten, diese eingefleischten Fantasy-Leser, die können sicher mit meinen Büchern nichts anfangen.

Aber Ihre Bücher verkaufen sich gut.

Ja, aber im Verhältnis zu Autoren, die wirklich gut verkauft werden, ist das minimal. Wenn Sie Autoren wie Cornelia Funke hernehmen, die hat Millionenauflagen. Bücher von mir erscheinen in Zehntausenderauflagen.

Hätten Sie je gedacht, dass Sie erfolgreich werden, als Sie mit dem Schreiben begonnen haben?

Nein, ich war schon zutiefst zufrieden, dass das erste Buch überhaupt genommen wurde. Ich glaube, es hatte eine Auflage von 2000 Stück. Um Kinderliteratur gab es damals viel mehr Geschrei als heute. Heute wäre ich nicht so schnell bekannt geworden.

Warum?

Um Kinderliteratur schert sich heute keiner. Bücher, die gut verkauft werden, sind halt gute Kinderbücher. Damals, 1970, als „Die feuerrote Friederike“ erschien, waren die politischen Verhältnisse ganz anders. Man hat darüber, wie man Kinder behandeln soll, viel mehr gestritten. Das waren die Anfänge der antiautoritären Erziehung, und es gab noch antiquierte Lehrer, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Ich bin in eine Schule zu einer Lesung gekommen, ich war 35 Jahre alt, meine Beine waren in Ordnung, und es war die Zeit der Minimode. Ich hatte ein Minikleid an. Die Frau Direktor hat mich angeschaut und gefragt: „Haben Sie keine Angst, dass Sie sich die Eierstöcke verkühlen?“ Es gab Bibliothekarinnen, die haben gesagt, sie tun meine Bücher in den Giftschrank, weil sie jugendverderblich sind. Das waren andere Zeiten.

Wie geht man mit so etwas um?

Man fühlt sich bestätigt. Wenn man von der Sorte Menschen, die einen ablehnen, Lob bekäme, hätte man eh etwas falsch gemacht.

Der Erfolg ist dann über Sie hereingebrochen. Hat das auch finanziellen Erfolg bedeutet?

So üppig war der nicht. Wenn von einem Buch 5000 Stück verkauft werden, und Sie kriegen zehn Prozent vom Verkaufserlös und müssen noch Steuer bezahlen– so viel ist das nicht. Unter den Kinderbuchautoren können vielleicht drei, vier Prozent davon leben.

Und Sie zählen dazu?

Ich zähle dazu, aber ich habe nicht nur Kinderbücher geschrieben. Ich habe vielleicht 20 Drehbücher für das Fernsehen gemacht, beim Hörfunk gearbeitet, täglich für Zeitungen geschrieben, aber ich habe nie eine Arbeit nur angenommen, um Geld zu verdienen. Das hatte ich nicht notwendig, weil mein Mann Geld verdient hat. Aber von Jahr zu Jahr wurden meine Einnahmen mehr.

Wie ist das, wenn man plötzlich so gefragt ist?

Daran gewöhnt man sich, das ist ja nichts Unangenehmes. Wahrscheinlich ist es wesentlich ärger, nicht gefragt zu sein. Das ist genauso, wenn man gefragt wird: Was bedeuten Ihnen Preise und Auszeichnungen? Da kann ich ehrlichen Herzens sagen: Eigentlich nichts, aber die Frage ist, was ich mir denken würde, wenn ich keine bekäme.

Man liest immer wieder, dass Ihnen Geld nicht so viel bedeutet.

Das ist nicht so richtig, ich gebe es gern aus. Ich kann nicht haushalten damit. Und ich bin das Gegenteil von geizig. Ich benutze Geld, um es auszugeben.

Wofür?

Meistens nicht für mich, es macht mir Spaß, anderen Menschen Freude zu bereiten. Und es macht mir Spaß, nicht sparen zu müssen. Meine Bedürfnisse sind nicht so groß. Je älter man wird, umso mehr schrumpfen sie. Ich bin jetzt 77, fahre nicht mehr Auto. Die Wohnung hier reicht mir, Kleidung ist mir viel zu langweilig. In meinem Alter bedeckt man sich nur und kleidet sich nicht. Aber das Gefühl, dass es ganz wurscht ist, ob ich Prosecco oder Champagner kaufe, oder dass ich jederzeit in ein Taxi einsteigen kann, das ist etwas Schönes. Ich glaube, arme Kinder– und ich war ein ziemlich armes Kind– haben einen gewissen Nachholbedarf beim Geldausgeben. Was auch völlig lächerlich ist: Ich liebe Bargeld. Ich gehe gern mit einer gefüllten Brieftasche herum.

Was konnten Sie sich als Kind nicht leisten, was Sie gern gehabt hätten?

Man konnte Schulbücher aus der Schülerlade bekommen, wenn man arm war. Da hast du dich anmelden müssen. Und dann bist du dagestanden als eine dieser paar, die sich die Bücher nicht leisten können. Es war gegenüber meiner armen Mutter und meinem armen Vater wirklich nicht sehr nett, aber ich habe das abgelehnt und mich nie für die Schülerlade gemeldet.

Weil Sie das beschämt hätte?

Ja, das hat meinen Stolz verletzt. Ich habe auch stur erklärt, ich will nicht Ski fahren, nur um nicht als die dazustehen, die den Freiplatz für den Skikurs bekommt.

In der Nachkriegszeit waren alle arm?

Ja, es waren schon alle arm. Aber wir waren zwei Kinder in der Klasse von vierzig, die daheim gar nichts hatten. Sicher, man hat es der Kleidung nicht angemerkt, weil meine Mutter besser nähen konnte als manche Hausschneiderin. Aber die Wohnungen der anderen waren wesentlich besser. Wir haben im Parterre gewohnt. Einmal hat meine Banknachbarin zu mir gesagt: Im Parterre wohnen ja nur die Hausmeister. Und „Hausmeister“ war ein Schimpfwort in der Klasse. Wenn eine eine schiache Frisur hatte, hieß es: „Die hat eine Hausmeisterfrisur.“ Und dann hat mich dieses Mädchen heimbegeleitet und naiv gefragt: „Wo sind eure Fenster?“ Ich hätte ums Verrecken nicht gesagt: Da unten. Ich habe also zum ersten Stock raufgezeigt.

War sie nie in der Wohnung?

Oh ja, sie kam einmal. Ich habe geglaubt, ich versinke im Erdboden. Aber die hat das nicht so tragisch genommen.

Haben Sie später nie angefangen, das Geld zu horten, aus Angst es wieder zu verlieren?

Ich hatte nie Angst, es zu verlieren. Eigentlich hatte ich immer die Vorstellung, ich kann neues Geld verdienen, wenn ich das Geld, das ich verdient habe, ausgegeben habe. Natürlich gibt es bei freischaffenden Menschen Existenzangst.

Legen Sie eigentlich etwas an?

Ich habe schon etwas angelegt, aber ich kann Ihnen nicht sagen, was das ist. Wenn der Finanzberater auf der Bank anruft und sagt, er muss etwas umschichten, dann gehe ich halt wieder hin und fülle sechs Zetteln aus. Es interessiert mich nicht so sehr. Aber das kann ich auch nur sagen, solange ich ausreichend Geld für mich verdiene. Es gibt aber gewisse Ängste, was die Zukunft betrifft. Ich weiß ja nicht, wie lange ich noch lebe. Mit 88 oder 90 kann ich nicht mehr arbeiten. [ Rainer]

ZUR PERSON

Christine Nöstlinger (*1936) ist eine erfolgreiche österreichische Kinderbuchautorin. Die Wienerin ist eigentlich gelernte Gebrauchsgrafikerin, zum Schreiben kam Nöstlinger erst relativ spät. Im Laufe der Jahre hat die Schriftstellerin über 100 Kinder- und Jugendbücher verfasst, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. 2013 erschien ihre Autobiografie „Glück ist was für Augenblicke“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2014)

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