Ökostrom: Gabriel wagt einen Befreiungsschlag im Eiltempo

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Weniger Subvention, mehr Wettbewerb: Die Reform soll den Strompreis in Deutschland bremsen und die Akzeptanz der Energiewende retten.

Berlin. Sigmar Gabriel scheut kein Risiko. Im Poker um die Große Koalition setzte der SPD-Chef mit dem Mitgliederentscheid alles auf eine Karte. Als frisch gekürter „Superminister“ für Wirtschaft und Energie will er nun die deutsche Ökostromförderung von Grund auf reformieren. Am Mittwoch soll das Kabinett sein Konzept auf einer Klausur beschließen, schon im August soll es in Kraft treten.

Die Eile tut not. Denn die Energiewende ist aus dem Ruder gelaufen. Die Bürger murren über die kräftig steigende Ökostromumlage: Mit 220 Euro pro Jahr finanziert ein Durchschnittshaushalt die garantierte Einspeisevergütung. Sie nimmt den Produzenten von Strom aus Wind und Sonne für 20 Jahre das unternehmerische Risiko. Durch die „Überförderung“ verliert der Umstieg von Atomkraft auf erneuerbare Energien immer mehr an Akzeptanz. Die schwarz-rote Notbremse: weniger Vergütung für Neuanlagen, Maximalmengen für den Ausbau und ein wenig mehr Marktwirtschaft. Gabriel kann sich auf heftigen Widerstand gefasst machen. Die Ökostromlobby, Greenpeace und die grüne Opposition heulen schon auf.

Die Pläne im Detail: Die Vergütung für neue Anlagen soll bis 2015 von im Schnitt 17 auf zwölf Cent pro Kilowattstunde sinken. Die Ausbauziele für die zu teuren Windparks in Nord- und Ostsee werden halbiert, von 30.000 auf 15.000 Megawatt (MW). Windräder auf dem Land hingegen, eine immer effizientere Technologie, sollten auch mit um zehn bis 20 Prozent niedrigeren Fördersätzen auskommen. Zusätzlich sinkt die Vergütung automatisch, wenn der jährliche Zuwachs 2500 MW überschreitet. Bei Sonnenenergie ist eine Grenze von 3500 MW geplant.

Ihre Anbieter kennen das Prinzip des „atmenden Deckels“ schon. Für den kostentreibenden Boom 2010 und 2011 kam er zu spät. Damals fielen die Preise für Solarpaneele so rapide, dass der Staat mit der Kürzung der Förderung nicht nachkam. Gegen solche Tücken der Planwirtschaft will der Sozialdemokrat Gabriel künftig ein wenig Wettbewerb wagen: Anbieter sollen ihren Strom selbst an der Börse vermarkten. Die Differenz zur heutigen fixen Vergütung bekommen sie aber zu einem großen Teil ersetzt. Viele große Wind- und Solarparks vertreiben schon heute direkt, künftig werden auch kleine Betreiber dazu verpflichtet.

Brüssel bestimmt das Tempo

Zwei Fragen bleiben offen. Da der Wind nicht immer bläst und die Sonne über Deutschland selten scheint, müssen Kohle- und Gaskraftwerke als Reservekapazität herhalten. Das erhöht weiter den CO2-Ausstoß und ist nicht kosteneffizient, weshalb die Energiekonzerne die Hand aufhalten. Wie es mit diesen Subventionen weitergeht, ist noch zu klären. Unklar bleibt auch, wie stark Berlin die Rabatte bei der Ökostromumlage für die energieintensive Industrie kürzt. Heuer könnten sie auf über fünf Mrd. Euro steigen. Die EU-Kommission wittert dahinter eine Vergünstigung, die den Wettbewerb im Binnenmarkt verzerrt. Kommt es nicht bald zu einer Einigung, können die Unternehmen nicht im dritten Quartal den Antrag für 2015 stellen. Auch deshalb hat es Gabriel eilig: Er muss Brüssel zeigen, wie ernst es ihm mit seiner „Energiewende 2.0“ ist.       (gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2014)

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