Was Spitäler krank macht

Ärztedemo
ÄrztedemoStanislav Jenis
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Der Protest von AKH-Medizinern gegen Einsparungen ist nur ein Symptom größerer Probleme in heimischen Krankenhäusern. Ein Überblick über die Baustellen des Spitalssystems.

Wien. 400 Ärzte, ein knappes Viertel der Mediziner des Wiener AKHs, gingen am Dienstag auf die Straße. Der Grund ihres Protests: Durch neue Sparmaßnahmen, etwa bei Nachtdiensten, werde das Personal des größten Spitals der Republik endgültig an seine Grenzen geführt, klagen die Spitalsärzte. Ihr Protest wurzelt zwar in der Sonderstellung des AKHs, aber er ist auch Ausdruck einer Krankheit, die längst alle Spitäler erfasst hat: übervolle Ambulanzen, mangelnde Ausbildungsmöglichkeiten für junge Mediziner, notorische komplizierte Finanzierung – ein Überblick über die Strukturprobleme, unter denen Österreichs Spitäler noch immer leiden.

1 Übervolle Ambulanzen: Bis zu 40 Prozent der Patienten haben keine Überweisung.

Eigentlich dürften Spitalsambulanzen Patienten laut Gesetz nur behandeln, wenn sie von einem niedergelassenen Arzt überwiesen wurden. In der Praxis gehe jedoch keine Krankenschwester das Risiko ein, Patienten bei der Aufnahme wieder nach Hause zu schicken, meint Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer. Denn: Falls dem Patienten daheim doch etwas passiere, hätte sie ein massives Problem. Infolgedessen schätzt Pichlbauer die Zahl jener, die ohne Überweisung in die heimischen Ambulanzen gehen, auf bis zu 40 Prozent. Von 2003 bis 2012 stiegen die Ambulanzbesuche österreichweit von 322.500 auf 535.000 pro Jahr – ein weltweiter Spitzenwert. Mit ein Grund dafür ist, dass die Zahl der Kassenärzte nicht zunahm und die Bezahlung für Patienten gedeckelt wurde. Denn: Wenn der Deckel erreicht ist, schicken die Hausärzte die Patienten lieber in Ambulanzen, weil sie kein Geld mehr bekommen.

2 Die Finanzierung: Die Mittel für Spitäler kommen aus undurchschaubar vielen Quellen.

„Trotz mehr als 25 Jahre dauernder Bemühungen gelang keine gemeinsame Betriebsführung“, kritisierte der Rechnungshof im Vorjahr das AKH. Eine nun beschlossene Reform wurde dadurch erschwert, dass die Ärzte der Med-Uni Wien unterstehen, der Rest des AKHs dem Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV). Das verkompliziert noch einmal das ohnehin komplexe System der Spitalsfinanzierung: Bund, Sozialversicherungen und Länder zahlen in Landesgesundheitsfonds ein – diesen verrechnen die Spitäler Leistungen. Da das aber nicht kostendeckend ist, müssen die Länder und andere Spitalsträger Geld zuschießen.

3 Die Arbeitszeiten: Ein Drittel der Turnusärzte macht mehr als neun Überstunden – jede Woche.

In Wien würde jeder dritte Turnusarzt laut OGM-Befragung 2013 nach den Erfahrungen, die er während der Zeit gemacht, nicht wieder Medizin studieren. Hauptursache sind zu viele Nacht- und Wochenenddienste. Zuletzt kritisierte auch das Wiener Kontrollamt, dass Turnusärzte zu lang arbeiten. In zwei Dritteln der Fälle betragen die Überstunden pro Woche bis zu acht Stunden, in einem Drittel zwischen neun und 35 Stunden. Von zu vielen Überstunden im Spital sind Turnusärzte stärker betroffen als Fach- bzw. Oberärzte. Denn diese arbeiten (lieber) außerhalb des Spitals zusätzlich in Privatordinationen.

4 Die Ausbildung: Mehr als ein Drittel der Turnusärzte lernt typische Krankheitsbilder nicht.

In einer Ärztekammer-Umfrage beurteilten Turnusärzte die Qualität ihrer Ausbildung auf einer Schulnotenskala mit 2,79 (Befriedigend). 37,2 Prozent gaben an, nach der Absolvierung einer Abteilung typische Krankheitsbilder nicht oder nur zu einem kleinen Teil richtig zu erkennen. „Eine mit Befriedigend bewertete Ausbildung ist unbefriedigend“, sagt Harald Mayer, Vizepräsident der Ärztekammer. Derzeit fehlten Ressourcen, um eine qualitätsvolle Ausbildung sicherzustellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2014)

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