Klimapolitik: Ende der Energiewende

Klimapolitik, CO2, EU
Klimapolitik, CO2, EU(c) EPA (OLIVER BERG)
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Die EU weicht ihre ehrgeizigen Ziele auf. Der Fokus liegt nun auf der Senkung des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent und nicht auf erneuerbaren Energien.

Brüssel. Dass eine Offensive ohne flankierende Maßnahmen wenig Aussichten auf Erfolg hat, gehört zu den Binsenweisheiten der Strategie. Auch die EU-Kommission hat sich bei der Neuausrichtung ihrer Energie- und Umweltpolitik diese Erkenntnis zu Herzen genommen: Just einen Tag vor der Verkündung ihres Kurswechsels präsentierte die Brüsseler Behörde am Dienstag eine in besorgter Tonlage verfasste Studie, der zufolge die europäischen Unternehmen drei- bis viermal so viel für Gas zahlen müssen wie die Konkurrenz in den USA, Russland und Indien. Bei Industriestrom beträgt die Preisdifferenz demnach hundert Prozent. Die implizite Botschaft: Ohne Gegenmaßnahmen geht es Europas Wirtschaft an den Kragen.

Um welche Gegenmaßnahmen es sich handelt, ist seit Mittwoch klar: Die EU will es beim Klimaschutz fortan nicht mehr so ehrgeizig angehen. Bei den gestern vorgestellten guten Vorsätzen für das Jahr 2030 gibt es nur noch einen relevanten Zielwert: die Senkung des Kohlendioxidausstoßes um 40 Prozent gegenüber dem Jahr 1990. Gestrichen wurden indes fixe Vorgaben für den Mindestanteil erneuerbarer Quellen an der Energieerzeugung. Bisher hatte die EU ihren Mitgliedern vorgeschrieben, bis zum Jahr 2020 mindestens 20 Prozent ihrer Energie nachhaltig zu generieren. Das Ziel für 2030 lautet zwar minus 27 Prozent für die gesamte Union – es wird allerdings nicht im EU-Recht verankert und ist damit auch nicht verbindlich. Den EU-Mitgliedern solle damit ermöglicht werden, „flexibel“ und angepasst an „nationale Präferenzen und Gegebenheiten“ zu agieren. Im Klartext: Wer das CO2-Ziel mittels Ausbaus der Kernenergie erreichen will, hat nun (mehr oder weniger) freie Hand dazu.

Die gestrigen Stellungnahmen lassen darauf schließen, dass die EU den Eindruck vermeiden will, sie bürde ihren krisengeschüttelten und reformmüden Mitgliedern neue Lasten auf. Während Kommissionspräsident José Manuel Barroso das CO2-Ziel als „kostengünstig“ pries, versprach der für Energiefragen zuständige Kommissar, Günther Oettinger, dafür zu sorgen, dass „Strom für die Haushalte leistbar bleibt“. Selbst Umweltkommissarin Connie Hedegaard nahm gestern das – für sie sonst eher ungewohnte – Wort „Kosteneffizienz“ in den Mund.

Die EU-Klimapolitik litt in den vergangenen Jahren gleich an mehreren Schwächen. Da wäre zunächst einmal der Krisenkomplex Banken/Schulden/Euro, der den Wirtschaftsstandort Europa nachhaltig beschädigt hat. Für energieintensive Branchen, die ohnehin unter vergleichsweise hohen Strompreisen leiden, ist die Konjunkturschwäche ein weiteres Argument für den Umzug in sonnigere Gefilde und gegen kostspielige Umweltauflagen. „Könnte ich unsere europäischen Anlagen zu US-Preisen betreiben, würde ich mir eine Milliarde Dollar pro Jahr ersparen“, klagte vor wenigen Tagen, Lakshmi Mittal, der Chef des Stahlkochers Arcelor Mittal. Ein weiteres Symptom ist der Crash auf dem Markt für CO2-Zertifikate (ETS), mit denen europäische Unternehmen ihre Emissionen abgelten. Krisenbedingt haben sich die Zertifikate rasant verbilligt – die EU-Kommission will daher den ETS-Markt reformieren und ab 2021 je nach Marktlage Zertifikate verknappen bzw. freigeben.

Freie Fahrt für Fracking

Es gibt allerdings ein fundamentales Problem: Mit 28 Mitgliedern, die Gas fördern (Niederlande), auf Kernkraft setzen (Frankreich), Windfarmen den Vorzug geben (Deutschland) oder Kohle verfeuern (Polen), ist die EU schlicht und ergreifend zu differenziert für Universalrezepte. Insofern ist es nur konsequent, dass die EU auf eine Regulierung der Förderung von Schiefergas mittels Fracking verzichtet – Brüssel ermahnt Enthusiasten wie Großbritannien lediglich dazu, alle Umweltnormen einzuhalten.

Ob die Vorschläge der EU-Kommission von Rat und Europaparlament angenommen werden, ist allerdings noch offen. Die ersten Reaktionen fielen durchwachsen aus: Während es aus dem EU-Parlament Kritik hagelte, sprach die deutsche Umweltministerin, Barbara Hendricks, von einer „guten Ausgangsbasis“, um beim EU-Gipfel im März einen Grundsatzbeschluss zu erzielen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2014)

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