Die Darsteller des RTL-Dschungelcamps agieren nach den Regeln dieses TV-Formats. Das macht ihre Handlungen nicht weniger erschreckend.
Es war eine Szene, die der Show eine andere Richtung geben hätte können: Larissa Marolt, die viel geschmähte Kärntnerin, über die man sich im gesamten deutschsprachigen Raum das Maul zerreißt, tritt mit dem ehemaligen Viva-Moderator Mola Adebesi zur Dschungelprüfung an. Diesmal keine Maden, sondern eine Übung wie aus dem Lehrbuch für Tutoren, dazu gedacht, das Vertrauen der Teilnehmer ineinander zu stärken: Die beiden balancieren hoch über der Schlucht auf schmalen Stegen, Larissa Marolt mit verbundenen Augen ist auf die Anweisungen ihres Partners angewiesen. „Super, Larissa“, ruft er, „Perfekt, Larissa!“ Am Ende liegen sie sich in den Armen. Das war es, oder? Was jetzt kommen müsste: die triumphale Rückkehr ins Camp, verdientes Schulterklopfen, ein entspannter Abend.
Aber nichts dergleichen passiert. Stattdessen prahlt Mola Adebesi, als habe er alleine die Prüfung bestanden und erklärt, man müsse Larissa gegenüber „streng“ sein, dann würde sie das schon schaffen. Larissa verkriecht sich.
Ist das gescriptet? Gehen die Dschungelcamper nach Drehbuch vor? Ist Mola Adebesi ein Psychopath und Larissa Marolt ein Mobbing-Opfer?
Viel wird darüber diskutiert, was an der Show echt ist und was nicht. Sogar Larissa Marolts Vater hat sich zu Wort gemeldet und erklärt, seine Tochter spiele doch nur eine Rolle. Natürlich: Niemand verspeist „in echt“ gequirlten Schweine-Anus. Er tut es, weil er sich auf ein Spiel eingelassen hat, das einem klaren Reglement folgt. Die handelnden Personen passen sich an, sie interpretieren die ihnen zugesprochenen Rollen so gut wie möglich. Innerhalb dessen agieren sie, wie man so schön sagt, authentisch: Der Wunsch zu gewinnen ist echt. Die Strategien jedes einzelnen sind entlarvend.
Ein abgedroschener Topos
Die Dynamik, die sich hier entwickelt, gab es in den ersten Staffeln noch nicht, jedenfalls nicht so ausgeprägt, denn zu Beginn reichten Brüste unterm Wasserfall und reichlich Kakerlaken. 2011 hat sich das geändert: Sarah Knappig wurde als blonde Zicke engagiert, die im Laufe der Show zum Mobbing-Opfer wurde. Seither treibt man mit dem Motiv des zivilisierten Menschen, in dem ein Monster steckt, die Quoten in die Höhe. Der „Herr der Fliegen“ war ein Beispiel in der Literatur; mittlerweile wurde dieser Topos als abgedroschen beiseite gelegt. Die Psychologie hatte das Milgram-Experiment und „Die Welle“; sie hat erkannt, dass solche Experimente ethisch bedenklich sind und dass man die Aussagen dieser Versuche mit Vorsicht genießen muss: Man entwirft ein Szenario, in dem sich Menschen mit der größtmöglichen Wahrscheinlichkeit als Soziopathen entpuppen und zeigt sich anschließend verwundert, wenn sie es tun.
Nun erlebt das Milgram-Experiment also eine Neuauflage als Dschungelcamp. Man holt sich eine junge blonde Frau, die durch egozentrisches Verhalten und eine geringe Frustrationstoleranz aufgefallen ist, und lässt andere Egozentriker über sie herfallen.
2011 wandte sich die Sympathie des Publikums der blonden Außenseiterin zu. Der damalige Teilnehmer Matthieu Carrière, der ein wahres Terrorregime installiert hatte, ist seitdem von der Bildfläche verschwunden. Aber auch die beruflichen Höhepunkte der „Zicke“ Sarah Knappig beschränken sich – glaubt man ihrer Homepage – auf die Einladungen zu diversen Film-Premieren.
Dieses Spiel überstehen nur wenige unbeschadet.