Die Euphorie über wirtschaftliche Chancen ist der Angst gewichen, von den USA übervorteilt zu werden. Stimmungsmache und Kommunikationsfehler gefährden das Freihandelsabkommen.
Wien/Brüssel. „Zunehmend besorgt über den immer negativeren Ton“ zum Freihandelsabkommen äußerte sich EU-Handelskommissar Karel De Gucht in einem Gastbeitrag, der diese Woche europaweit erschien. Die Stimmung ist gekippt. Selbst in Deutschland, das sich einst für ein Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) mit den USA eingesetzt hat, dominiert heute Skepsis. Berlin hat wegen des von Washington geforderten Investitionsschutzmechanismus eine Teilblockade der Verhandlungen durchgesetzt. In Österreich warnte der neue Landwirtschaftsminister diese Woche vor möglichen negativen Folgen für Lebensmittelqualität und für die Landwirtschaft. „Die Ängste und Sorgen sind berechtigt“, sagte Andrä Rupprechter.
Vergangenes Jahr hatte die Brüsseler Kommission noch in einem Brief alle EU-Regierungen aufgefordert, in der Öffentlichkeit gute Stimmung für das Abkommen zu machen. Jetzt mehren sich die kritischen Stimmen auch unter Regierungsvertretern. Nicht zuletzt durch Kommunikationsfehler der Kommission ufert die Angst aus, von den USA übervorteilt zu werden.
Ein Grund für die Verunsicherung ist die strikte Geheimhaltung der seit Juli 2013 laufenden Verhandlungen. Wenn Dan Mullaney für die USA und Ignacio Garcia Bercero für die EU wieder einmal am Verhandlungstisch sitzen, wird die Öffentlichkeit nicht einmal über Zwischenergebnisse informiert. Über die Verhandlungspositionen der EU wird in Brüssel geschwiegen.
Ein weiterer Grund ist die Art und Weise, wie der verantwortliche Kommissar De Gucht über Monate auf Bedenken reagiert hat. Auf Fragen, ob das Abkommen mit den USA zur Einfuhr von Hormonfleisch oder Chlorhühnern führen werde, antwortete er zunehmend aggressiv und wenig empathisch. Hinweise, wonach das Abkommen nicht getrennt von der NSA-Affäre und damit auch getrennt von notwendigen gemeinsamen Datenschutzregeln behandelt werden könne, wischte er vom Tisch. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Zudem wurden, wie aus internen Listen der EU-Kommission deutlich wurde, in die Vorbereitung der Verhandlungen fast ausschließlich Vertreter von Großkonzernen eingebunden.
US-Härte befeuert Vorurteile
In der öffentlichen Debatte hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Ging es vorerst um die positiven Auswirkungen eines gemeinsamen Markts von 800 Millionen Konsumenten, stehen jetzt Einzelinteressen im Mittelpunkt. Was ist mit den Klein- und Mittelbetrieben, was mit der Landwirtschaft oder den europäischen Filmemachern? Werden sie vom großen Bruder jenseits des Atlantiks überrollt? Wird es statt zu verbessertem Rechtsschutz für Geschäfte auf dem US-Markt zu einer Nivellierung nach unten kommen?
Die USA haben mit ihrer harten Haltung beim Investitionsschutz diese Ängste noch befeuert. Für Streitfälle zwischen Investoren und Staaten forderten sie ähnlich wie bei Handelsabkommen mit Dritte-Welt-Ländern ein dreiköpfiges Schiedsgericht, das abseits von Gesetzen und demokratischer Kontrolle agieren soll. Eine gewagte Konstruktion, die geeignet wäre, jedes nationale Recht zu untergraben.
Das lässt wenig Entgegenkommen auch bei den schwierigen Verhandlungen über Umweltstandards oder Konsumentenschutz erwarten. „Die Bedenken gegenüber dem Freihandelsabkommen sind uns bekannt, und wir nehmen sie ernst“, sagte EU-Chefverhandler Garcia Bercero zuletzt bei einer Tagung in Wien. Gleichzeitig wies er aber auch darauf hin, dass es letztlich einen Kompromiss zwischen beiden Seiten geben müsse. Wenn die EU zu viele Ausnahmen fordere, sei ein Abschluss in Gefahr.
IN ZAHLEN
800 Millionen Konsumenten zählt der gemeinsame Markt von EU und USA.
120 Milliarden Euro soll das Abkommen der europäischen Wirtschaft jährlich bringen. Für die USA wird der Zuwachs auf 95 Milliarden geschätzt.
Zwölf Prozent werde der Exportzuwachs der metallverarbeitenden EU-Industrie betragen. Weitere Hauptgewinner des Abkommens wären laut einer EU-Studie der Lebensmittel- und Chemiesektor mit jeweils plus neun Prozent Exportzuwachs.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2014)