Angelika Mlinar: "Der freie Markt ist kein Selbstzweck"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Neos, ihre neue Partei, sei liberaler als das Liberale Forum, sagt die letzte LIF-Chefin Angelika Mlinar. Sie wünscht sich eine EU der Regionen - und einen sozialeren Kapitalismus.

Das Liberale Forum ist Geschichte, es hat am Samstag mit Neos fusioniert. Sie waren die letzte Parteichefin des LIF. Ist Ihnen der Abschied schwergefallen?

Angelika Mlinar: Emotional ist das schon intensiv. Es geht etwas zu Ende, aber gleichzeitig beginnt etwas viel Größeres. Und insofern ist es ein schöner Abschied und ein schöner Neubeginn.


Was sind die programmatischen Unterschiede zwischen Neos und Liberalem Forum?

Die größte Neuerung ist wahrscheinlich, dass das Neos-Programm pragmatischer ist. Das Liberale Forum war immer ein bisschen visionärer.


Woran machen Sie das fest?

Ein Beispiel: Bürgergeld versus bedarfsorientierte Grundsicherung. Das Bürgergeld kann man rasch umsetzen. Die Grundsicherung folgt hingegen einem längerfristigen Konzept, weil sie sämtliche Transferzahlungen beinhaltet: von der Kinderbeihilfe bis zur Pension.

Neos will die Zivilehe für Homosexuelle öffnen. Ist die neue Partei liberaler als das LIF?

Irgendwie schon. Formelle Veränderungen beinhalten auch die Chance, auf gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren. Das haben wir gemacht.

Wie haben Sie den katholischen Parteiflügel von Neos von der Homo-Ehe überzeugt?

Das war kein großes Thema. Es gab eine Vorabstimmung, und da war eine große Mehrheit dafür.

Sollen homosexuelle Paare auch Kinder adoptieren dürfen?

Im Parteiprogramm ist das zwar nicht festgeschrieben. Aber wenn man die Zivilehe öffnet, tut man sich schwer, die Adoption einzuschränken. Also: Ja.

Das Liberale Forum hatte immer einen gesellschaftspolitischen Schwerpunkt, während Neos mehr die Wirtschaftspolitik betont. Wo liegt Ihr persönlicher Schwerpunkt?

Ich glaube, dass man das nicht getrennt voneinander betrachten kann. Ich bin zutiefst überzeugt, dass ein freier Markt das beste Mittel ist, um Wohlstand zu sichern. Aber wir müssen auch darauf achten, dass es einen Zusammenhalt in der Gesellschaft gibt.

Wo ist da der Unterschied zu einem Sozial- oder Christdemokraten? Die sehen das im Grunde genauso.

Der Unterschied ist die Einstellung. Als Liberale glaube ich an Eigenverantwortung. Die Idee, dass das Kollektiv für einen zu sorgen hat, bewirkt, dass wir brutal zueinander sind. Weil sich eh immer irgendjemand um den anderen kümmert. Wenn wir aber die Verantwortung für uns selbst übernehmen, sind wir auch für unseren Nächsten verantwortlich. Diesen Befund kann man auch aus der katholischen Soziallehre ableiten. Die ist ja nicht so weit weg.

Sie stehen der katholischen Soziallehre nahe?

Ja. Ich bin religiös, und meine Religiosität hat katholische Wurzeln. Aber gleichzeitig bin ich für eine starke Trennung von Kirche und Staat. Das sage ich ganz bewusst als Frau und Feministin.

Was entgegen Sie der Kapitalismuskritik – oder können Sie ihr etwas abgewinnen?

Wir müssen den Kapitalismus weiterentwickeln, der freie Markt ist kein Selbstzweck. Die Ursache der Krise war ja, dass sich die Finanzwirtschaft verselbstständigt hat. Das ist nicht Sinn der Übung. Die Idee, Geld mit Geld zu machen, ohne den Umweg in die Realwirtschaft zu nehmen, zerstört das System.

Haben Sie eine Lösung?

Es beginnt und endet bei der Disziplin des Einzelnen. Wenn die Gier zum Wert erklärt wird, haben wir als Gesellschaft ein Problem.

Und damit glauben Sie auch nur einen Investmentbanker bekehren zu können?

Banken und Banker arbeiten ja nicht a priori gegen die Gesellschaft.

Das behauptet auch niemand. Aber Sie sagen, die Finanzwirtschaft sei von der Realwirtschaft entkoppelt. Wie soll man sie wieder einfangen?

Ich habe auch noch keine Formel gefunden. Das ist eine Herausforderung.

Auch für die Europäische Union. Wieso wollen Sie eigentlich nach Brüssel wechseln? Sie wurden doch gerade erst – im Oktober – als Nationalratsabgeordnete angelobt.

Die Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen. Intern gab es diesen Wunsch. Es hat sich aufgrund meiner Biografie – ich habe lange für die EU-Kommission gearbeitet – auch irgendwie angeboten.

Kann man davon ausgehen, dass Sie Neos-Spitzenkandidatin für die EU-Wahl am 25.Mai werden?

Die internen Vorwahlen dauern noch bis Mitte Februar. Dem kann und will ich nicht vorgreifen.

Angenommen, es kommt so: Sie wären die am wenigsten bekannte Spitzenkandidatin. Wie wollen Sie sich bemerkbar machen?

Unsere Haltung zur EU ist: Ja, aber. Damit positionieren wir uns anders als die anderen Parteien.

Zwischen den Grünen und der FPÖ, könnte man sagen.

Wir bekennen uns zum Projekt Europa, aber es ist verbesserungswürdig. Man kann nicht gegen das Volk regieren.

Wohin führt dieses „Ja, aber“ in letzter Konsequenz?

Jedenfalls nicht in die nationalen Schrebergärten zurück. Wir müssen dieses nationalstaatliche Denken überwinden.

Reicht Ihre Vision bis hin zu Vereinigten Staaten von Europa?

Ich kann mir das schon vorstellen, aber die Bevölkerung hat derzeit nicht das Gefühl, dass das der richtige Weg ist. Die Alternative ist ein Europa der Regionen. Vielleicht geht es ja in diese Richtung, man wird sehen.

Eine Art zweiter Frühling für den österreichischen Föderalismus ist damit aber nicht gemeint, nehme ich an.

Nein, das sicher nicht. Ich spreche von Initiativen, die sich schon organisiert haben: Donauraum, Alpe Adria, die Tiroler Allianz mit Südtirol oder Bayern. Da tun sich Regionen zusammen und setzen Schwerpunkte. Warum nicht?

Manche sagen, Regionalisierung würde einen Bedeutungsverlust für die nationalen Parlamente nach sich ziehen.

Natürlich müsste die Rolle der nationalen Parlamente dann neu definiert werden. Aber das ist weder gut noch schlecht, sondern einfach nur der Lauf der Zeit. Das muss sich entwickeln. Entscheiden werden die Bürger.

Sind Sie sicher? Das ist doch genau das Problem: Die Bürger haben das Gefühl, dass die EU über ihren Kopf hinweg entscheidet.

Das stimmt, das ist problematisch – und das müssen wir schleunigst ändern.

Und wie?

Vor Verfassungsänderungen muss es einen Konvent geben, der Interessengruppen und Bürger einbindet.

Europaweite Volksabstimmungen bei Verfassungsänderungen wollen Sie nicht?

Das will ich jetzt nicht ausschließen. Wenn es einen sehr starken Wunsch danach gibt, kann sich die Politik dem nicht verschließen.

Haben Sie diese Fragen auch schon mit SPÖ-Spitzenkandidat Eugen Freund erörtert? Er kommt wie Sie aus Südkärnten.

Echt? Das wusste ich nicht. Ich habe ihn noch nicht getroffen, ich kenne ihn nur aus dem Fernsehen.

Und – wie ist Ihr Eindruck?

Mir hat er irrsinnig leid getan.

Weil er das durchschnittliche Arbeitergehalt mit 3000 Euro brutto beziffert hat, obwohl es um ein Drittel niedriger ist?

Ich will mich nicht negativ über ihn äußern. Wenn Sie wollten, könnten Sie mich mit statistischen Fragen auch auflaufen lassen.

Sie meinen, dass die Medien Ihrem ehemaligen Journalistenkollegen Eugen Freund ein Bein gestellt haben?

Nein. Ich glaube, dass ihm nicht bewusst war, was da auf ihn zukommt. Die Politik ist etwas völlig anderes. Das Risiko, dass man Schaden nimmt, ist groß. Taktisch war Freund vielleicht ein kluger Schachzug. Aber offenbar hat die SPÖ nicht damit gerechnet, dass ihr Kandidat hart angefasst wird. Und ihn nicht entsprechend vorbereitet.

Steckbrief

Angelika Mlinar
ist stellvertretende Neos-Klubchefin und war bis zur Fusion am Samstag Parteichefin des Liberalen Forums. Im Sommer könnte sie nach Brüssel wechseln: Mlinar wird aller Voraussicht nach Neos-Spitzenkandidatin für die EU-Wahl am 25.Mai. Die parteiinternen Vorwahlen enden Mitte Februar. Dann wird die Kandidatenliste präsentiert. Ziel von Neos sind zwei Mandate.

Die 43-Jährige
stammt aus Altendorf in Kärnten und studierte Jus in Salzburg und Washington. Erste politische Erfahrungen sammelte sie als Assistentin von Friedhelm Frischenschlager im EU-Parlament. Später arbeitete Mlinar als Projektleiterin für verschiedene europäische Institutionen.

Im Jahr 2005
machte sich Mlinar – parallel zu ihrem Job in der EU – als Keksherstellerin in Ljubljana selbstständig. Ihr Unternehmen nannte sie Angelski keksi. Außerdem war Mlinar Programm-Managerin für das International Centre for Migration Policy Development in Wien – und von Mai 2009 bis Ende Juni 2010 auch Generalsekretärin des Rates der Kärntner Slowenen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2014)

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