Westen verschärft Druck auf Kiew

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Präsident Janukowitsch bot der Opposition hohe Regierungsposten an, diese lehnte das "vergiftete Angebot" ab. Berlin fordert das Regime auf, "ernsthaft" auf die Opposition zuzugehen.

Kiew/Berlin. Angesichts der nicht endenden Gewalt rund um die Anti-Regierungs-Proteste in der Ukraine hat der Westen nun seine Tonlage merklich verschärft: „Wir werden jeden erdenklichen Druck auf beide Seiten ausüben, um den Versuch zu unternehmen, im Dialog und nicht mit Gewalt zu antworten“, sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. War dieser Appell an beide Konfliktparteien gerichtet, ließ Schulz im Anschluss keinen Zweifel, wen er für hauptverantwortlich hält, nämlich die Regierungsseite: „Ich glaube, dass wir über Sanktionen gegenüber Kiew nachdenken müssen“, sagte er dem Sender „Deutsche Welle“. Dies könne zum Beispiel Reisebeschränkungen für Mitglieder der Führung einschließen.

Auch Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier erhöhte verbal den Druck auf Kiew. Besonders kritisierte er die jüngst „vom Zaun gebrochene“ Einschränkung des Demonstrationsrechts. Steinmeier forderte in für ihn überraschend deutlichen Worten die Regierung auf, ernsthaft auf die Opposition zuzugehen und zu zeigen, wie ernst sie es tatsächlich meine mit ihren Angeboten.

Klitschko für Verhandlungen

Offenbar hält Steinmeier die Offerte, die Präsident Viktor Janukowitsch Samstagabend den Oppositionsführern unterbreitet hat, für ebenso unzureichend wie die Adressaten selbst: Er hatte Arsenij Jazenjuk, einem Vertrauten der inhaftierten Ex-Premierministerin Julia Timoschenko, das Amt des Regierungschefs angeboten und Box-Champion Vitali Klitschko von der Partei „Udar“ („Schlag“) einen Vizepremiersposten. Der dritte Oppositionsführer, der Ultranationalist Oleg Tjagnibok, wäre leer ausgegangen. Wäre, denn auch die beiden anderen lehnten das „vergiftete Angebot“, wie es Klitschko nannte, rundheraus ab. Sie erklärten sich zwar bereit dazu, die Macht im Land zu übernehmen, aber nur nach Wahlen. Man werde weiter mit der Regierung verhandeln, sagte Klitschko noch in der Nacht auf Sonntag.

Die Zeichen standen aber vorerst auf Konfrontation: Bereits in der Früh gab es erneut schwere Zusammenstöße zwischen Demonstranten, die das Kulturzentrum stürmen wollten, und den Sicherheitskräften. Einmal mehr musste Klitschko dazwischen gehen, um die Lage zu deeskalieren. Den Oppositions-Politikern fällt es immer schwerer, den gewaltbereiten Teil der Protestbewegung, den sogenannten „Rechten Sektor“, der sich zum Großteil aus Fußball-Hooligans rekrutiert, zu kontrollieren.

Sechs tote Demonstranten

Die Proteste, die Ende November wegen der Abkehr des Landes von der EU in Kiew begonnen hatten, weiten sich derweil auf immer mehr Gebiete in der Westukraine aus: In den Städten Iwano-Frankowsk und Ternopol besetzten Demonstranten Rathäuser und erklärten die „Partei der Regionen“ von Staatschef Janukowitsch zur „verbotenen Organisation“. Auch die Kommunisten seien unerwünscht, da sie im Parlament ebenfalls für eine Einschränkung des Demonstrationsrechts gestimmt hätten.

In Kiew nahmen am Sonntag mehrere tausend Menschen an der Trauerfeier für einen Demonstranten teil, der im Zuge der Unruhen erschossen worden war. Der Weißrusse Michail Schisnewski, der seit Jahren in der Ukraine lebt und bei den Protesten als Ordner fungierte, wäre am Sonntag 26 Jahre alt geworden. Er soll in seiner Heimat beigesetzt werden. Die Behörden bestätigten zwar, dass Schisnewski durch Schüsse getötet wurde, allerdings bestreiten die Sicherheitskräfte, überhaupt auf Demonstranten geschossen zu haben. Die Regierung spricht von bisher drei Toten bei den Protesten, die Opposition setzt die Zahl doppelt so hoch an. (ag./red.)

AUF EINEN BLICK

Seit Ende November dauern die Massenproteste gegen den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch bereits an. Auslöser war, dass der Präsident überraschend ein fertig verhandeltes Assoziierungsabkommen mit der EU auf Eis legte und sein Land wieder stärker Russland annäherte. Dies wollen viele Menschen in Kiew und der Westukraine, die tendenziell nach Europa ausgerichtet ist, nicht hinnehmen. Bei den Protesten gab es bereits bis zu sechs Todesopfer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2014)

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