Franz Graf: Wie man Wiener Künstler wird

Franz Graf, Autellung, 21er Haus
Franz Graf, Autellung, 21er Haus(C) Bellvedere Wien
  • Drucken

Franz Graf, einflussreicher Künstler-Lehrer und Sammler der österreichischen Szene, zeigt, was seine morbid-existenzielle Welt zwischen Schwarz und Weiß inspiriert.

Hier kann man sich erst einmal in diesem Wust aus rund 300 Gemälden, Zeichnungen, Skulpturen, Objekten, Videos, Fotografien festklammern, arrangiert in einer brachial gezimmerten Ausstellungsarchitektur in der Halle des 21er-Hauses. An der Wand mit den historischen Referenzen: Ein klares geometrisches Ornament in Schwarz-Weiß der 2005 verstorbenen Hildegard Joos aus den 1970ern. Die Mordszene an einer Schwangeren aus Arik Brauers Gemälde „Diebe in der Nacht“ (1955). Ernst Fuchs' Porträt eines Priesters, der einen Dämon ins Dunkle zurückweist (1961). Und schließlich der Blick in die Augen einer undurchsichtigen Dame, der kritischen Kommunistin Ruth von Mayenburg, die ein weiterer Phantastischer Realist, Rudolf Hausner, 1951 porträtiert hat.

Das Universum Franz Grafs ist hier in Form eines behutsamen Chaos quer durch die Generationen angelegt – das Ornamentale, das von Kuratoren so gern bei diesem abgründigen Werk betont wird. Die existenzialistischen Pole Schwarz und Weiß, Eros und Thanatos, die nackte Gewalt, der nackte Körper, das nackte Gesicht. In großen, skizzenhaften Grafit-Tusch-Zeichnungen auf Leinwand taucht all das bei Graf auf. Über die Umstände dieses eleganten Gothic-Posings ließ er uns bisher weitgehend im Unklaren. In dieser Ausstellung werden sie aber klarer, erklären sich aus dem Schmelztiegel einer Wiener Kunstszene heraus, die morbide Tendenzen aus der ganzen Welt immer wieder anzog. Graf war daran nicht unschuldig als legendärer Lehrer an der Akademie (1997–2006).

Gruppenausstellung als Selbstporträt

Gemeinsam mit Kurator Severin Dünser hat er sein Umfeld zu einem Selbstporträt zusammengefasst: eines eindeutig männlichen, dafür auffällig gemäßigt machistischen und egozentrierten Grenzgängers, eines Musikliebhabers, eines allem Extremen zugeneigten Künstlers und Sammlers. Von den 300 Exponaten stammen nur rund 20 von Graf selbst, der große Rest kommt aus seiner Sammlung, 30 Werke aus dem Belvedere. Der auf einem Esel reitende nackte Knabe etwa (1914), der anstelle des Besuchers in diese Welt der Abgründe einreitet. Er stammt vom Berliner Tierbildhauer August Gaul, einem Fremden, der hier Fremdes erfahren wird. Links neben ihm etwa die lebensgroße Marionette Markus Schinwalds, die in weißem Kleid manisch vor sich hin wippt. Rechts ein riesiger Phallus aus Autoreifen von Jannis Varelas, einem lang in Wien lebenden, jüngeren griechischen Künstler. Und über aller Köpfe zieht eine Art Fries von Grafs Bildern hinweg, der fast schon kanonisch mit antiken Tänzerinnen beginnt.

„Siehe, was dich sieht“, der Ausstellungstitel, erinnert an einen archaischen Anspruch von Kunst, in der Eingangssituation unübersehbar – sie erklärt uns nicht nur porträthaft unser Äußeres, sondern auch unser Inneres: die Kultur, die uns prägt, die Kränkungen, die wir mit uns tragen, um nicht wieder das Unbewusste zu strapazieren. Der Wiener Aktionismus darf natürlich nicht fehlen, er ist hier beiläufig zwischen vergleichbare Arbeiten weniger bekannter Künstlerinnen und Künstler gestreut, die Graf nicht entgangen sind. „Ich ersticke an euren Schatten“, kommentiert das sonst vorherrschende Übergewicht der Aktionisten eine Arbeit von Gina Müller.

Künstlerinnen prägten Grafs Weg – bei seinem Studium an der Angewandten dürfte er über Helga Philipp die Liebe zur Geometrie und zum Grau-Schwarzen erkannt haben (leider nicht vertreten), mit Brigitte Kowanz arbeitete er lange zusammen, Zenita Komad studierte bei ihm, mit Elke Krystufek bestritt er ihre erste Galerieausstellung 1992.

Eine der jüngsten Positionen, Grafs Facebook-Freundin „Anouk Lamm Anouk“, studiert noch auf der Wiener Akademie, von ihr hängt eine schwarze Lammdecke vom zentralen Baugerüst. In einer Koje werden alle zwei Wochen andere Künstler ausstellen, auf den Bühnen immer wieder Performances stattfinden. Diese Ausstellung kann nicht stillstehen. Sie ist ein Konzentrat dessen, was Franz Graf interessiert. Es geht uns alle an.


Bis 25. Mai, Mi–Do: 11–21h, Fr–So: 11–18h. Schweizergarten, Arsenalstraße 1, Wien 3.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.