Deutschland und der ADAC: Lauter machtbewusste Rettungsengel

Der Skandal um den Autofahrerklub schockiert die Bundesrepublik Deutschland. Möglicherweise gerade darum, weil sich das ganze Land im ADAC wiedererkennt?

Es ist etwas in Deutschland passiert. Und es traf die Nation unvorbereitet. Jetzt steht sie unter Schock. „Es tut einem weh, wenn ein Glaubensfelsen kaputtgeht“, klagt Franz-Josef Wagner, der berühmt-berüchtigte Kolumnist der berühmt-berüchtigten Boulevardzeitung „Bild“. „Wem können wir noch glauben? Auf wen können wir uns noch verlassen? Wer sagt uns die Wahrheit?“ Es klingt nach existenzieller Verzweiflung.

Was kann da bloß passiert sein? Ist Franz Beckenbauer tot, das Brandenburger Tor eingestürzt, oder der Himmel heruntergefallen? Nein. Der ADAC, Deutschlands Autofahrerklub, wurde des Schummelns überführt. Bei der Wahl des „Lieblingsautos der Deutschen“ wurde geschoben, ADAC-Rettungshubschrauber wurden für Privatflüge zweckentfremdet.

Auf den ersten Blick klingt das banal. Auf den zweiten Blick jedoch nicht mehr. Denn in diesem Skandal sind alle Ingredienzen drin, die Deutschland ausmachen: sein Image nach außen wie auch sein Selbstverständnis nach innen. Es geht dabei um Autos.

Die Deutschen verbindet mit dem Auto eine stärkere Beziehung als alle andere Nationen, eine symbiotische beinahe. Zuerst haben sie es erfunden (Carl Benz). Dann stand es prototypisch für die die Massenmobilisierung des Nationalsozialismus (Volkswagen, Autobahn), anschließend für den Kommunismus (Trabi) und schließlich für den Sieg der kapitalistischen BRD (BMW, Mercedes).

Was die Deutschen an ihren Autos gut finden, bildet den Markenkern ihrer gesamten Exportindustrie. Koreaner mögen praktische Kombis produzieren, Franzosen wendige Stadtflitzer, Italiener schnittigen Luxus; die Amerikaner sehen sich am liebsten in wuchtigen Pick-ups über staubige Landstraßen brettern. Deutsche Autos hingegen stehen für alles, worauf die Deutschen auch an sich selbst stolz sind: Qualitätsarbeit, Tempo, gepaart mit Sicherheit und Verlässlichkeit.

Sicherheit und Verlässlichkeit: Genau das ist das Kerngeschäft des ADAC. Bei den umfangreichen Produkttests überlässt man nichts dem willkürlichen Geschmacksurteil: Reifen, Kindersitze, Autobahnraststätten, optimale Kofferraumgrößen und die Sicherheit von Tunnels werden bewertet. Alles objektiv, nüchtern und korrekt, wie man es von Deutschen gewöhnt ist (zumindest bis jetzt).

Auch der Versicherungsgedanke ist so deutsch, wie ein Gedanke nur sein kann. Beim ADAC Mitglied zu sein heißt für seine 19 Millionen Mitglieder: Mir kann nichts passieren. Man bleibt irgendwo auf der Landstraße hängen, das Benzin geht aus, ein Reifenplatzer, eine defekte Lichtmaschine: „Fürchte dich nicht“, sagt der ADAC, „du musst bloß anrufen, die Pannenhelfer“, „gelbe Engel“ genannt, „werden kommen und dich herausholen.“ Im schlimmsten Fall, wenn ein schwerer Unfall passiert, kommen die Engel gar vom Himmel her – mit dem Hubschrauberrettungsdienst. Alles wird gut.

19 Millionen Mitglieder, 13,8Millionen Exemplare der Vereinszeitung „Motorwelt“, die größte Druckauflage Europas – das bedeutet Macht, ökonomische, politische, ideelle. Was bei ADAC-Tests herauskommt, kann das Schicksal ganzer Produktlinien besiegeln.

Wenn er die Bundeskanzlerin bitte, eine Gastkolumne zu schreiben, „dann wird sie es tun“, sagt der Chefredakteur der „Motorwelt“. „Was der ADAC sagt, wird Gesetz“, schreibt der „Spiegel“. Und diese Macht nützte er auch weidlich aus. Etwa, wenn es gegen Tempolimits ging, gegen die Autobahnmaut oder für Regelungen im Interesse der Autoindustrie.

Hier nun zeigt der ADAC sein zweites Gesicht. Ein machtbewusster Koloss, der zu Überheblichkeit und Hochmut neigt. Der im Namen des Gemeinwohls auftritt, aber dabei durchaus eigennützige Interessen verfolgt. Ein strenger Richter über andere, der jedoch genau weiß, dass er von den Regeln, auf die er pocht, selbst am meisten profitiert.

Seltsam – aber genau so haben wir Deutschland in den vergangenen Jahren in der EU-Politik kennengelernt.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2014)

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