"Westen will keine starke Ukraine"

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Bei den Aktivisten auf dem Maidan stoßen die von den USA in Aussicht gestellten Sanktionen auf Zustimmung. Auch von der EU wünscht man sich ein entschlosseneres Vorgehen.

Kiew. Ruslan Andrijko kämpft für eine starke, unabhängige – kurz: für eine ukrainische Ukraine. Um dieses Ziel zu erreichen, sind ihm alle möglichen Mittel recht. Auch internationale Sanktionen, wenn sie sich gegen die derzeitigen verhassten Machthaber und nicht gegen die Ukrainer als solche richten.

Andrijko ist Kommandant. Er kommandiert allerdings keine Armee, sondern ein Heer von 400 Freiwilligen: Köche, Krankenschwestern, Schreibpersonal und auch einen mit Schlagstöcken bewaffneten Trupp junger, zu allem entschlossener Männer. Andrijko benötigt für seinen Job keine offizielle Uniform, Zivilkleidung in schlichtem Schwarz reicht. Auf dem Maidan kennt ihn jeder, und hier ist man nicht geizig mit wohlklingenden Dienstgraden.

Der junge Mann mit dem Dreitagebart, der in kurzen, messerscharfen Sätzen spricht, leitet die Kommandozentrale der rechtsextremen Oppositionspartei Swoboda im Gebäude der Stadtregierung. Vor ein paar Wochen haben Swoboda-Anhänger das Haus in Beschlag genommen. Im pompösen, von Säulen gesäumten Festsaal steht Andrijko und kommentiert wohlwollend die Nachrichten aus den USA: Gestern wurde bekannt, dass Washington Sanktionen gegen Mitglieder der ukrainischen Regierung vorbereitet. „Wenn der Westen wirklich unsere Unabhängigkeit unterstützen will, sollte er deutliche Maßnahmen gegen das Regime von Präsident Janukowitsch setzen“, sagt Andrijko. „Bis jetzt ist das nicht passiert, mit dem Ergebnis, dass sich die Regierung unantastbar fühlte.“

Einzelheiten zu möglichen Strafmaßnahmen wurden noch nicht bekannt. Jedoch könnten die Sanktionen schnell umgesetzt werden, wenn nötig, wie es hieß. Was Andrijko unerwähnt lässt: Die Sanktionsdrohung besteht auch gegen die Opposition, sollte es zu Gewalteskalationen kommen.

Auf dem Maidan, dem von Demonstranten besetzten Unabhängigkeitsplatz im Zentrum Kiews, stoßen mögliche Sanktionen auf Sympathie. Auch Oppositionsführer Vitali Klitschko macht sich gegenüber der EU dafür stark. Und die Aktivistin Olga hofft, dass Sanktionen wirkungsvoller sind als die bisherigen Vermittlungsversuche und mahnenden Worte aus Brüssel: „Würde die EU das machen, dann würde sie das Regime wirklich ins Mark treffen.“ Nach dem Tod von sechs Demonstranten, nach dem Verschwinden Dutzender und aktuell 140 Verhaftungen wünschen sich viele eine deutlichere internationale Reaktion.

Vermögen nach Wien gebracht

Im besetzten Hauptquartier der Ultranationalisten will man sich schon jetzt helfen. Auf den Tischen liegen Flugzettel auf, die zum Boykott bestimmter Güter und Dienstleistungen aufrufen, die sich in den Händen von Vertretern der Regierungspartei und ihrer Angehörigen befinden. Der Reichtum der Regierenden ist ein Reizthema in der Ukraine. In Oppositionsmedien ist immer wieder davon zu lesen, wie Vertreter des Regimes sich nicht nur auf dubiosen Wegen bereichern, sondern ihre Pfründe ins sichere Ausland schaffen. Wien spielt hierbei offenbar eine Schlüsselrolle. Über komplizierte rechtliche Umwege soll die Familie des eben zurückgetretenen Premiers Mykola Asarow hier Immobilien und Unternehmensbeteiligungen haben. Die Causa könnte Folgen haben: Ukrainische Oppositionelle in Wien hatten zuletzt gefordert, Mitgliedern der Familie Asarow den Aufenthaltstitel in Österreich zu entziehen.

Dass die EU so zögerlich mit spürbaren Konsequenzen – etwa Kontosperren oder Einreiseverboten – ist, lässt Brüssel aus ukrainischer Sicht untätig erscheinen. Manche auf dem Maidan machen die abwartende Haltung Europas sogar mitverantwortlich für die Brutalität des Regimes. Die Argumentation: Hätte Janukowitsch aus Europa deutlichere Warnsignale erhalten, er hätte sich niemals ein so hartes Vorgehen gegen die Demonstranten erlaubt. Der Präsident selbst ist derzeit übrigens von Fieber und Atembeschwerden niedergestreckt, die Opposition spricht spöttisch von einer „politischen Erkrankung“.

„Kommandant“ Ruslan Andrijko hat eine eigene Theorie, warum der Westen die Regierenden bisher verschont hat: Weder die USA noch Europa seien an einer starken, unabhängigen Ukraine interessiert, erklärt er, entgegnet der Geopolitik mit der Routine eines Aufständischen: „Aber wir werden dafür bis zum Letzten kämpfen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2014)

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