Februaraufstand: „Jetzt alles auf die Straße, alles schießen!“

Richard Bernaschek
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Die Schlüsselfigur des Februaraufstandes 1934, Richard Bernaschek, wird bis heute der NS-Kollaboration verdächtigt. Ein Fund im DDR-Archiv rehabilitiert ihn weitgehend. Nach einer Flucht bis nach Moskau erschoss man ihn 1945 im KZ.

In der Nacht auf den 12. Februar 1934 hatte Otto Bauer, der 52-jährige Anführer der österreichischen Sozialdemokraten, wenig Schlaf. Er ahnte, dass es in Linz zu einem Aufstand des sozialdemokratischen Schutzbundes gegen die Regierungsgewalt der Christlichsozialen kommen werde. Er war aber nicht in der Lage, die Geister, die er zuvor gerufen hatte, zu bannen.

Kanzler Engelbert Dollfuß würde vor einer Konfrontation nicht zurückschrecken, das war klar. Also hatten die Schutzbündler seit Monaten massenhaft Waffen in der Tschechoslowakei beschafft. Parteigelder waren vorsorglich nach Zürich geschmuggelt worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg betrug dieses Parteivermögen immerhin noch 426 Kilogramm Gold.

„...Schmach und Schande über sie!“

So warteten Anfang 1934 die beiden bewaffneten Parteiarmeen – Schutzbund und Heimwehr – nur auf die Gelegenheit zum Zuschlagen. In Linz begann's. Richard Bernaschek, der Schutzbundführer in Oberösterreich, ließ die Wiener Parteispitze wissen, man werde sich wehren, sollten Polizei, Heimwehr oder Bundesheer in den nächsten Tagen das Hauptquartier nach Waffen durchsuchen. „Wenn uns dann die Wiener Arbeiterschaft im Stiche lässt, Schmach und Schande über sie!“

Der Adressat: Otto Bauer, ein brillanter Theoretiker, dem Bruno Kreisky später so gern nachgefolgt wäre – ein ganz schlechter Stratege. Ein Anführer ohne Machtmittel, ein Agitator ohne den Willen zum Äußersten. Der Wiener Historiker Barry MacLoughlin zitiert Bauer bei der Sitzung der Kreis- und Bezirksführer des Wiener Schutzbundes am 5.Jänner, als sich die Katastrophe schon zuspitzte: „...eine andere Austragung der Angelegenheit als eine gewalttätige ist jedoch nicht mehr möglich.“ Als im Februar die Genossen in Linz Ernst machen wollten, versuchte Bauer verzweifelt, den Aufstandsversuch im letzten Moment per Telegramm zu stoppen. Zu spät.

Auch in der Kunst der Konspiration verlief alles recht österreichisch. Das zeigt die Tatsache, dass bei der ersten größeren Verhaftungswelle Anfang Februar 1934 schon nach zwei Tagen der Kommandant des Schutzbundes, Alexander Eifler, der Polizei ins Netz ging. Unter einem Sofapolster in der Redaktion der „Arbeiter-Zeitung“ (Rechte Wienzeile) war die gesamte Liste der Kreis- und Bezirksführer versteckt. Fast alle verhaftete man in ihren Wohnungen.

Theodor Körner griff sich an den Kopf

Am 10. Februar bekam Bernaschek in Linz das Aviso von der Zentralleitung in Wien: „erhöhte Bereitschaft“. In Wien wurde im Karl-Marx-Hof das geheime Waffenlager für einen Einsatz vorbereitet, der Schutzbund konnte davon ausgehen, dass in Wien etwa 4400 Mann bereitstünden, sagt McLoughlin.

Am 11. Februar gab es für die ungeduldigen oberösterreichischen Schutzbündler einen herben Rückschlag. Zwei Emissäre sprachen beim einstigen k.u.k.Generalstäbler Oberst Theodor Körner vor, der ja Berater der Sozialdemokraten – aus sicherer Entfernung – war. Die beiden sagten Körner, es wäre doch besser, „selbst die Entscheidung zu erzwingen, als sich nach und nach ganz einfach entwaffnen zu lassen. Angriff ist die besten Parade.“ Der alte Oberst lehnte ab: Die SDAP sei in der Minderheit, ein Auflehnen gegen Regierung, Polizei und Bundesheer sei wenig erfolgversprechend.

Das Desaster begann im „Schiff“

Am 12. Februar versammelten sich am frühen Morgen die engsten Funktionäre um Bernaschek im Hotel Schiff. Taktisch höchst unklug, denn bei der späteren Stürmung des Hauptquartiers konnte die Exekutive fast alle Köpfe des Aufstands im Handumdrehen festnehmen. Vierzig Schutzbündler hatten sich verschanzt und Waffen gehortet. Ein Maschinengewehr war dem Arbeiter Kunz anvertraut. Der feuerte um halb neun Uhr vormittags über den Hof auf die Polizei. Der erste Schuss, auf den es in der Geschichte manchmal ankommt, fiel also wohl von sozialistischer Seite.

Zwei verschlüsselte Telegramme Otto Bauers nach Linz, nicht loszuschlagen und erst einen Parteivorstand abzuwarten („Ärzte raten abwarten, vorläufig noch nichts unternehmen“), waren von der Polizei abgefangen worden. In Wien fiel kurz vor Mittag der Strom aus, die Straßenbahnen standen still. Das sollte der Generalstreik sein. Aber auch die Druckmaschinen, die die Flugblätter hätten produzieren sollen, schwiegen jetzt notgedrungen. Es gibt von dieser skurrilen Situation viele Berichte von Zeitgenossen – Franz Olah hat davon erzählt, auch sein Jugendfreund Kreisky.

Bauer – verzweifelt und ratlos

Durch Radfahrer versuchte die Gefechtsleitung im Favoritner Ahornhof, die Arbeiter zu mobilisieren: „Jetzt alles auf die Straße, alles schießen!“ Bis heute sei nicht sicher, schreibt Bauers Biograf Ernst Hanisch, ob Bauer den Befehl gegeben habe. Denn die Augenzeugin Rosa Jochmann schilderte, dass der nominelle Parteiführer in diesen Stunden psychisch gar nicht in der Lage dazu war: „Bauer wirkte verzweifelt – ratlos und alleingelassen.“

Kurz nach Mittag verhängte Dollfuß das Standrecht. Also die Drohung der Todesstrafe durch den Strang für jede Widersetzlichkeit. Otto Bauer geriet in Panik. Wer ihm zur überstürzten Flucht am Abend des 12. Februar geraten hat, lässt sich kaum noch nachvollziehen. Rosa Jochmann behauptete, man habe Bauer überreden müssen, er habe bleiben wollen „angesichts der tausend Genossen, die heute ihr Leben lassen müssen“. Jochmann: „Vielleicht werden manche dies als eine Schwäche auslegen, gewiss wäre eiserne Härte am Platz gewesen. Die fehlte unserem Genossen Bauer...“

Tatsache ist, dass sich der Parteiführer und der Kommandant des Schutzbundes, Julius Deutsch, abends in zwei Limousinen nach Pressburg führen ließen. Um die Sache noch pittoresker zu machen, verpasste sich Deutsch eine Augenklappe, ließ sich damit fotografieren, um den verzweifelten Genossen in Wien glaubhaft zu machen, er sei in den Kämpfen ernstlich verwundet worden. Das Datum ihrer Flucht setzten Bauer und Deutsch im Nachhinein in ihren Verteidigungsschriften stets um zwei Tage später an, was der Zeitzeuge Joseph Buttinger nur noch mit bitterem Hohn kommentierte.

Durch den Inn nach Bayern

Am 3. April glückte dem inzwischen verhafteten Bernaschek die Flucht aus dem Linzer Landesgericht. Der Gefängnisdirektor hatte es ermöglicht. So konnte er durch einen seichten Nebenarm des Inn nach Bayern waten – es war eine seltsame Gesellschaft: drei Schutzbündler, zwei Nationalsozialisten und ein Justizwachebeamter.

Im Archiv der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik in Berlin fand McLoughlin, der an der Wiener Universität lehrt, eine 23 Seiten umfassende Niederschrift Bernascheks für die Münchner Gestapo, datiert mit 9. Juli 1934 „Über meinen Aufenthalt in München vom 4. April bis 30. Mai 1934“. Von fremder Hand trägt das Faszikel den Vermerk „Keinesfalls öffentlich Verwendung“. Eine mysteriöse Sache.

„Heil Hitler!“ – „Guten Tag!“

In Passau wartete schon die Gestapo auf die Reisegesellschaft. Die vielen Begrüßungen mit „Heil Hitler“ erwiderte Bernaschek mit einem Kopfnicken oder einem „Guten Tag“, wie er schreibt. Im dicht gedrängten Extrazimmer einer Restauration in Oberhaus – es wimmelte von SA-Uniformen – betonte der exotische Gast aus Österreich, dass man von ihm keinen Gesinnungswechsel erwarten dürfe. Gauleiter Bolek soll erwidert haben: „Herr Bernaschek, wenn Sie anders gesprochen hätten, hätten wir es nicht verstanden.“ So berichtet es zumindest Bernaschek.

In Vilshofen machte der Tross auf dem Weg nach München einen kurzen Abstecher zum Lager der Österreichischen Legion, also dem Unterschlupf der auf Österreich nach dem Mord an Dollfuß geflüchteten Nazis. Bernaschek berichtet von einigen seiner Genossen, die bereits die SA-Uniform trugen. Der österreichische „Landesleiter“ Habicht empfängt Bernaschek tags darauf, gibt ihm Geldmittel, was der Sozialdemokrat treffend kommentiert: „Wir befinden uns in einem goldenen Käfig.“

Genau so war es. Am 10. April wartete schon eine handverlesene Reporterschar auf Bernaschek: „Völkischer Beobachter“, Reuters, Deutsches Nachrichtenbüro, UPI, „Münchner Zeitung“. Bernaschek ist vor allem mit der Wiedergabe seiner Ausführungen im „VB“ recht zufrieden.

Die Nazis waren sehr freundlich

Wenige Tage später erliegen die zwei mit Bernaschek geflohenen Genossen den Sirenenklängen der SA, halb zog man sie, halb sanken sie hin – beim Mittagessen tragen sie schon nagelneue SA-Uniformen. Beim Abschied flüstert der eine Bernaschek ins Ohr: „Ich bleibe Kommunist im Innern.“

Mit dem „Landesleiter“ der illegalen österreichischen Nazis, Theo Habicht, hat B. in München mehrere Gespräche. Man verschafft ihm einen Pass und Geld, er darf in die Schweiz ausreisen. Habicht sagt ihm zum Abschied: „Im Ausland sind Sie wieder unser scharfer Gegner, und wenn wir Sie irgendwo im Kampf erwischen, werden wir Sie in allen Ehren standrechtlich erschießen, weil Sie dasselbe zweifellos auch mit uns machen werden.“

Am 30. Mai 1934 reist er nach Zürich ab, dann – mit Friedrich Adler – nach Prag, schließlich im August nach Moskau. Aber er bleibt skeptisch: „Hier hat der Arbeiter genauso wenig zu reden wie bei den Nazis...Das ist nichts für uns“. Er geht zurück in die Tschechoslowakei. Nach dem Anschluss seiner Heimat 1938 will er zuerst zurück nach Österreich, gilt aber als ausgebürgert. Erst 1939 kann er nach Linz zurück.

Sein Bruder stellt ihn in seinem Radiogeschäft an. Dann schlägt er sich als Versicherungsvertreter durch; im Juni 1943 bewirbt er sich um eine Stelle im Städtischen Maschinenamt, die er auch am 1. Juli 1943 antreten kann. Seine abenteuerliche Lebensreise ist nun zur Ruhe gekommen.

Keine Rede: Nach dem 20. Juli 1944 (Attentat auf Hitler) wird der ahnungslose und unbeteiligte Bernaschek von der Gestapo verhaftet und in das KZ Mauthausen gebracht. Dort tötete man ihn am 14. April 1945, kurz vor Kriegsende, auf Befehl des Gauleiters Eigruber durch Genickschuss.

GEMEINSAM IM GEDENKEN

Am 12.Februar jährt sich zum 80. Mal der Beginn des tragischen österreichischen Bürgerkriegs, bei dem 1934 über 300 Menschen, rund 200 sozialdemokratische Schutzbündler und über hundert Exekutivbeamte getötet wurden.

Die Parteiobmänner Werner Faymann und Michael Spindelegger werden am 11.Februar am Mahnmal der Opfer für ein freies Österreich gemeinsam einen Kranz niederlegen. Es ist mehr als eine symbolische Geste. Denn das geschah bisher nur einmal, 1964, als der damalige Bundeskanzler Alfons Gorbach (ÖVP) und sein Vizekanzler Bruno Pittermann(SPÖ) der blutigen Februartage und des tiefen Hasses der beiden Lager in der Ersten Republik gemeinsam gedachten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2014)

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