Ende der Rechtschreibung? "Wir schreiben, wie wir's uns denken"

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Die Kenntnisse junger Menschen in Orthografie und Grammatik sind deutlich schlechter als früher. Unter anderem, weil im Unterricht heute weniger Wert darauf gelegt wird.

LiPe Eltan ich lade euich ein cu unsara wainachc Feia.“ Muss man bangen, wenn ein Kind solches schreibt? Nicht unbedingt. Dieser Satz stammt von einem Mädchen in der ersten Klasse Volksschule, nach nicht einmal vier Monaten Unterricht. Beim nächsten Mal sieht es dann schon so aus: „Ich wünsche dir frohe Weihnachten und ein schönes neues Jahr.“ Fehlerfrei, in tadelloser Schrift.

Das Beispiel ist natürlich nicht repräsentativ, nicht immer geht die Sache so gut aus. Vielmehr belegen etliche Studien, dass sich die Rechtschreibung von Schülern in den vergangenen Jahrzehnten verschlechtert hat. Was – über die Orthografie hinaus – ein lautes Lamento des Bildungsbürgertums zur Folge hat. Die Jugend beherrsche die Rechtschreibung nicht mehr, könne sich sprachlich nicht ausdrücken, es mangle an Allgemeinbildung etc. Nicht einmal der journalistische Nachwuchs sei sattelfest.

Aber denkt nicht bis zu einem gewissen Grad jede Generation so über die nächste? „Die Presse“ konstatierte bereits am 28.1.1889 den Niedergang der schreibenden Zunft: „... Am Fall der Journalistik sind die Journalisten mitschuldig. Es hat sich in der Wiener Journalistik ... ein System der Nervosität, der Übertreibung, des Haschens nach Sensationellem herausgebildet, das den Geschmack eines großen Teils des lesenden Publikums verdorben hat.“ Diesen Vorwurf wollen wir uns nicht gefallen lassen, liebe Leser!

Die Fähigkeiten der Schüler „sind heute nicht generell schlechter als früher, sondern sie akzentuieren sich anders“, schreibt Peter May, wissenschaftlicher Direktor am Institut für Bildungsmonitoring in Hamburg, in der „FAZ“, „bei schwächerer Ausprägung von eher formalen Fertigkeiten werden Intelligenz, Kreativität und Urteilsfähigkeit bei den heutigen Schülern deutlich stärker herausgebildet.“

Ein tröstlicher Ansatz. Germanistin Stefanie Villarme (44), seit 20 Jahren Deutschlehrerin im Sekundar- und Tertiärbereich, meint, dass der Rechtschreibung im Unterricht heute weniger Platz als früher eingeräumt werde, zugunsten des Ausdrucks. Für Rechtschreibfehler zieht sie Pauschalpunkte ab, nicht für jeden einzelnen Fehler. „Dieses Minusrechnen ist fehl am Platz.“ Man soll Schüler nicht sanktionieren, sondern motivieren. „Ein Diktat nach dem anderen bringt nichts.“


Übung. Entscheidend ist natürlich die Grundlage, die Schüler aus der Volksschule mitbringen. Methoden, die auf der Annahme basieren, dass die Kinder quasi von allein richtig schreiben lernen, kommen wieder aus der Mode. Ohne Korrektur und Übung geht es nicht. „Wenn wir eine Geschichte schreiben, schreiben wir die Wörter auf, wie wir's uns denken, oder wir fragen die Lehrerin, wenn wir's gar nicht wissen“, sagt Theodora, 3. Klasse Volksschule, „dann lassen wir es kontrollieren: Leichte Fehler, die man schnell-schnell macht, unterstreicht sie nur, bei ärgeren Fehlern sagt sie's uns.“ Bevor die Kinder einen Text abschreiben, sollen sie ihn dreimal lesen: „Beim Abschreiben ist es wichtig, dass wir genau hinschauen.“

Im Prinzip verstehen die Schüler, dass sprachliche Fertigkeiten wichtig sind. Für Bewerbungsschreiben, offizielle Briefe. Um sich zu behaupten. „Meistens gewinnt man eben sprachlich“, versucht Villarme zu vermitteln, „Smileys werden nicht genügen.“ Sprachlich sind die Jungen ja vor allem in Social Media zugange. Auf Facebook, WhatsApp, in SMS wird eine eigene Sprache gesprochen, genauer: Gesprochene Sprache wird verschriftlicht. „Beistriche setzen wir gar nicht, Groß- und Kleinschreibung machen die Handys automatisch, sonst würden wir nur klein schreiben“, erklärt Helene (17). Anrede und Verabschiedung – beim schnellen Hin-und-her-Gechatte überflüssig; im mündlichen Gespräch grüßt man ja auch nicht dauernd. Telegrammstil. „Manche verwenden so viele Abkürzungen, dass man nichts mehr versteht.“ Nicht so einfach wie OMG für Oh mein Gott, vll für vielleicht, eig für eigentlich...

„E-Mails hab ich noch nie irgendwem geschrieben“, mit SMS, WhatsApp gehe es ja viel schneller. Wobei SMS inzwischen angeblich eher für wichtigere, seriösere Sachen abgesetzt werden, etwa, um mit den Eltern zu kommunizieren. Es sind zwei verschiedene Welten, zwischen denen die Jugendlichen (und inzwischen gar nicht mehr so Jugendlichen) mehr oder weniger gekonnt hin und her springen. Ältere Semester tippseln indes mühsam die korrekten Beistriche in ihre SMS. Warum eigentlich?

Weil es alte Schule ist. Auch die Form muss stimmen. Weil wir Liebhaber der Sprache sind und gewisse, immer wiederkehrende Fehler in Rechtschreibung und Grammatik wie Schlüsselreize auf uns wirken. Für Benjamin Schmid (32), der einige Jahre als freiberuflicher Lektor und Übersetzer gearbeitet hat, ist so ein Fehler etwa das „Deppenleerzeichen“ (Agovis), z. B. Erdbeer Eis (ohne Bindestrich); Ihre statt ihre (3. Person); die falsche Übereinstimmung im Genus à la „eine Stadt, die seinesgleichen sucht“. Willkürlich gesetzte Beistriche, falsche Apostrophe (für's, Lotte's Beisl), dass-Fehler. Kommunikationsberater Georg M. (51) wiederum stößt sich an der katastrophalen indirekten Rede – „er hätte“ statt „er habe“. Wenn jemand denselben Ausdruck in einem Text unterschiedlich schreibt, wirke das oft unorganisiert, schlampig. Und das Fugen-s (Adventskalender) „wächst wie Schimmel aus allen Fugen“.

Und dennoch: Rechtschreibung sei letztlich eine Konvention, sie nicht zu erfüllen kein Drama. Wichtiger sei doch der zügige Aufbau eines Textes, die feine Klinge des Ausdrucks, die semantische Differenzierung. Aus Sicht des Lektors Schmid wiegen Struktur, Inhalt, Stil viel schwerer: Schiefe Metaphern, Inkohärenz, der Wechsel von Anredeformen – all das ist viel aufwendiger als die Korrektur trivialer Rechtschreibfehler. Es gibt großartige Schriftsteller mit mangelhaften Rechtschreibkenntnissen, das Unkraut jätet der Lektor. Schiller, Goethe schufen Meilensteine der Weltliteratur in einer Zeit, als keine kanonisierte Rechtschreibung existierte.

Die Sprachspalterin wird dennoch weiterhin den Zeigestab schwingen. Irgendjemand muss es ja tun.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2014)

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