Schwellenländer: Vom Eldorado zum Minenfeld

Schwellenländer, Aktien
Schwellenländer, Aktien(c) EPA (Yuan Zhen)
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Die aufstrebenden Volkswirtschaften stehen vor unterschiedlichen Problemen, doch eines haben sie gemeinsam: Die Anleger fliehen in Scharen, zuletzt aus China und der Türkei. Osteuropa werde aber zu Unrecht geprügelt, sagen Experten.

Wien. Ist die Schwellenländer-Story endgültig ausgeträumt? Vor zehn Jahren als Hoffnungsträger für Investoren angepriesen, hinken die sogenannten Emerging Markets seit gut drei Jahren den etablierten Märkten hinterher.

In der Vorwoche hat sich die Lage zugespitzt: Währungen und Börsenindizes zahlreicher Schwellenländer stürzten ab, als die US-Notenbank Fed den Geldhahn ein Stück weiter zudrehte und die Investoren ihre Gelder abzogen. Rettungsaktionen wie die Leitzinserhöhung in der Türkei verpufften fast wirkungslos. Die türkische Börse, die 2012 einen Boom und im Vorjahr einen Absturz erlebt hatte, scheint heuer bis dato nur eine Richtung zu kennen: nach unten.

Die Anleger fürchten, dass die Türkei als Land mit chronisch defizitärer Handelsbilanz unter dem Abzug von Investorengeldern besonders stark leiden könnte. Bei anderen Ländern dominieren andere Sorgen: An China missfällt den Anlegern das sich abschwächende Wirtschaftswachstum, an Russland die Rohstoffabhängigkeit. Die Folgen sind überall die gleichen: Der Börsenaufschwung der vergangenen Jahre ging (und geht) an den meisten Emerging Markets spurlos vorüber.

Für China besteht Hoffnung

Anleger aus der Eurozone bekommen das doppelt zu spüren, weil nicht nur ihre Papiere an Wert verlieren, sondern auch die fremden Währungen: Brasilianische Aktien sind auf Eurobasis kürzlich auf jenen Stand gefallen, den sie auf dem Höhepunkt der Finanzkrise hatten.

Auch die anderen BRIC-Staaten (diese Abkürzung prägte vor zwölf Jahren Goldman-Sachs-Experte Jim O'Neill für die gehypten Investmentziele Brasilien, Russland, Indien, China) haben den Anlegern aus der Eurozone in den vergangenen Jahren wenig Freude bereitet: Mit russischen Aktien geht es seit drei Jahren tendenziell nach unten. Chinesische Aktien hatten zwar in der zweiten Hälfte des Vorjahres zu einer Erholung angesetzt, seit einigen Wochen geht es aber, ebenso wie mit indischen Aktien, wieder nach unten.

Mittelfristig sollten sich in China jene Aktien am besten entwickeln, die von der Entwicklung der chinesischen Wirtschaft von einer export- zu einer konsumgetriebenen Volkswirtschaft profitieren, meint Fidelity-Fondsmanager Raymond Ma in einer Aussendung. Er setzt auf Versicherer (denen die Pensionsreform helfen sollte) und ausgewählte chinesische Brokerfirmen (denen die geplante Finanzreform in die Hände spielen sollte).

Zugleich deutet der Fondsmanager an, dass diese Strategie nicht zwingend schon heuer aufgehen muss: Die Umsetzung der Pläne der Regierung werde mehrere Jahre dauern, und das Investitions- und Exportwachstum werde sich in nächster Zeit abschwächen, schreibt er – auch wenn er für heuer ein stabiles Wachstum zwischen 7,5 bis 7,7 Prozent erwartet. Seit einem Jahr hat der MSCI China auf Eurobasis um 15 Prozent nachgegeben und liegt um 40 Prozent unter dem Stand aus dem Jahr 2007.

Billige Schwellenländer

Doch gerade weil die Stimmung für Schwellenländer bei den Investoren im Keller ist, könnte es sich lohnen einzusteigen, sagt Jürgen Maier, Fondsmanager bei Raiffeisen Capital Management. Denn das Kurs-Gewinn-Verhältnis vieler Emerging Markets ist gering. Im Vergleich zum breiten Aktienindex MSCI World liegt der Bewertungsabschlag bei über 30 Prozent. „Das ist historisch gesehen ein Ausreißer“, sagt Maier. Abgesehen davon sollten auch die Schwellenländer profitieren, wenn die Konjunktur in den Industriestaaten anzieht. Immerhin nutzt der Westen China als Werkbank und bezieht Waren aus dem Reich der Mitte. Hinzu kommt, dass sich am „großen Bild“ der Schwellenländer nichts geändert habe, sagt Maier. Denn das Wirtschaftswachstum ist nach wie vor hoch, und die Verschuldung ist deutlich geringer als in den Industriestaaten.

„Im Moment wirken zwei Gegensätze auf die Volkswirtschaften der Schwellenländer“, sagt Hian-Boon Tay von Deutsche Asset & Wealth Management. Auf der einen Seite verlangsame sich die Binnennachfrage. Auf der anderen Seite gebe es schon erste Anzeichen einer Erholung der Exporte. „Momentan hat die Binnenwirtschaft die Oberhand. Wenn in den nächsten Monaten der Markt langsam zur Ansicht kommt, dass die Exporte der Schwellenländer die Verlangsamung der Binnenwirtschaften überkompensieren, können Anleger in den Schwellenländern wieder aufatmen und sich auf bessere Zeiten freuen“, sagt Tay.

Trendwende in Osteuropa?

Vorerst aber zeigt das Börsenbarometer selbst in Indonesien, Malaysia oder den Philippinen nach unten, also in jenen Märkten, die sich in den vergangenen Jahren sehr gut gehalten haben.

In Osteuropa zeichnet sich nach wie vor keine richtige Erholung ab. Zumindest Letzteres könnte sich bald ändern, meint Henning Eßkuchen, Head of CEE Equity Research bei der Erste Group.

Momentan dominierten die Wachstumsschwäche in China und die Währungskrise in der Türkei die Medien. Das lasse die Investoren gegenüber allen Emerging Markets vorsichtig sein, auch gegenüber Märkten wie Tschechien, Polen oder Ungarn.

Für diese Märkte seien die Perspektiven heuer aber gut. Der Experte verweist auf positive Aussichten für Unternehmensgewinne und die Nähe zur Eurozone: Erhole sich diese, sollten die kleinen osteuropäischen Märkte mitgezogen werden. Dann sollte ihnen auch die günstige Bewertung der Aktien zu zugutekommen. Dass Osteuropa heuer die anderen Schwellenländermärkte übertreffe, wäre also zumindest fundamental gerechtfertigt, meint Eßkuchen.

Dass das tatsächlich passieren wird, ist aber keineswegs sicher: Wenn die Investoren pauschal Schwellenländer meiden, würde das für das relativ kleine Osteuropa wohl kaum anders aussehen. Wenn aber heuer Gelder von institutionellen Investoren in die Emerging Markets zurückfließen (im Vorjahr wurden weltweit 27 Mrd. Dollar aus Emerging-Markets-Fonds abgezogen), sollte ein überdurchschnittlich hoher Anteil dieser Gelder auf Osteuropa entfallen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2014)

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