Ringen um Ukraine: Nullsummenspiele bringen nichts

Höchste Zeit, dass Russland und die EU gemeinsam zu vermitteln versuchen.

Auch nach der Rücknahme der das Demonstrationsrecht rigoros verschärfenden Gesetze vom 16. Jänner und dem Rücktritt der Regierung am 28.Jänner zeigt sich die Opposition in der Ukraine nicht bereit, die Proteste zu beenden. Die Konfliktparteien haben sich in eine Pattstellung hineinmanövriert. Und selbst der Rücktritt des amtierenden Präsidenten würde die politische Krise vermutlich nicht beenden.

Die Ukraine ist ein historisch, religiös, kulturell, auch wirtschaftlich und sozial inhomogener Staat. Sie ist das Produkt des Ersten Weltkrieges und der Sowjetära und steht im Spannungsverhältnis zwischen dem österreichisch-polnisch/katholisch-jüdisch geprägten Westen einerseits und dem orthodox-russisch geprägten Osten und Süden andererseits. Im Zentrum pocht das historische Herz der Kiewer Rus, die Wiege der ukrainischen wie auch der russischen Staatlichkeit.

Auch nach fast einem Vierteljahrhundert seit der Unabhängigkeit begegnen einander Menschen und Politiker aus den verschiedenen Landesteilen noch immer mit Vorwürfen und mit Misstrauen. Die Nahtstellen zwischen Ost und West sind längst unübersehbar, und sie werden offensichtlich immer brüchiger.

Nationale Strategie fehlt

Egal, wie die gegenwärtige ukrainische Konfrontation ausgehen wird: Das nach dem Zerfall der Sowjetunion eingeführte ukrainische politische Modell scheint seine Möglichkeiten aufgebraucht zu haben. Die Ukraine braucht endlich eine Regierung der nationalen Einheit, die eine tiefgreifende Föderalisierung im Rahmen der unbedingt aufrechtzuerhaltenden Einheit des Landes, klar ausformulierte nationale Interessen und eine nachhaltige nationale Entwicklungsstrategie erwirken kann.

Daran sind alle bisherigen ukrainischen Präsidenten seit 1991 gescheitert. Gescheitert ist auch Viktor Janukowitsch. Und einen Grund zur Hoffnung, dass die Opposition dieser Aufgabe gewachsen sein würde, gibt es derzeit auch nicht.

Die Ukraine als Brücke

Selbst wenn sich gemäßigte Oppositionspolitiker vom Radikalismus und der antisemitisch gefärbten Rhetorik eines bestimmten, unter der Schirmherrschaft der Partei Swoboda stehenden Teils der Protestbewegung lossagen, ist von ihnen kaum die Bereitschaft zu erwarten, die Verantwortung für die gesamte Ukraine zu übernehmen. Der friedliche Schein in den Reihen der Opposition trügt und ist nur von kurzer Dauer. Nach einem Rücktritt von Janukowitsch würde wohl ein erbittertes Ringen um Einflusssphären ausbrechen.

Vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Krise wird immer klarer, dass eine Assoziierung oder mögliche EU-Beitrittsperspektive auf absehbare Zeit keine Option sind. Sinnhafter erschiene dagegen ein von EU und Russland gemeinsam getragener Vermittlungsversuch. So könnte die Ukraine eine Brückenfunktion einnehmen und sogar einen Beitrag zur Überwindung der jetzigen Krise in den EU-Russland-Beziehungen leisten.

Im geschichtsträchtigen Jahr 2014 bietet sich vielleicht die allerletzte Chance, im gegenseitigen Einvernehmen das Denken in Nullsummenspielen und Schubladen aufzugeben und so das angeblich „kurze 20. Jahrhundert“ auch mental endgültig zu verabschieden

Werden aber, wie im Moment zu befürchten ist, keine grundlegenden Strukturreformen auf den Weg gebracht, könnte sich die – von manchen durchaus mit Freude herbeigesehnte – Parallele des ukrainischen Auflehnens gegen das Janukowitsch-Regime mit dem verwelkten Arabischen Frühling tatsächlich realisieren.

Mag. Alexander Dubowy ist Koordinator der Forschungsstelle für Eurasische Studien (EURAS) an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2014)

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