Vor Facebook war es Hans Dichand vorbehalten, Katzenfotos zu teilen

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Die Realität hat die Befürchtungen von Orwell und Huxley schon überholt. Aber die Generation Facebook geht sehr pragmatisch damit um.

Fangen wir mit ein bisschen Kulturkritik an. Das muss schon sein, wenn wir über das Internet reden. Oder fällt Ihnen etwas ein, was unser Leben in den vergangenen Jahrzehnten so sehr verändert hat wie das Internet und seine (derzeitigen) Hauptanlaufstellen wie Google, Twitter oder eben Facebook? Sagen Sie jetzt bitte nicht „Handy“ – das wäre zu billig.

Telefone hat es schon lange gegeben, und dass wir irgendwann draufgekommen sind, dass es vielleicht intelligent wäre, Personen anzurufen (und nicht Räume) war zwar eine technische Revolution, die wahre Kraft des Smartphones wurde aber erst freigelegt, als das Internet auf den kleinen Schirm kam. Nicht zuletzt in Form einer blauen Facebook-App.

Das soziale Netz selbst hat sich in Österreich in Windeseile zum Quasistandard für persönliche Kommunikation entwickelt. Briefe kommen heute nur noch mit Erlagscheinen – und E-Mails spielen höchstens in der Firma noch eine bedeutende Rolle. Aber zu Facebook haben wir eine quasi freundschaftliche Beziehung entwickelt. Was heißt freundschaftlich? Oft gehört Facebook schon zur Familie.

Nicht grundlos: Facebook verpackt die total vernetzte Gesellschaft in ein einfach zu handhabendes Paket – und hat vielen so erst einen echten Zugang zum Netz geschaffen. Die Oma wird sich kaum für die hunderten Milliarden x-beliebigen Websites interessieren – aber die Fotos von der Geburtstagsparty der Teenager-Enkeltochter? Diese werden einer genauen Prüfung unterzogen.


Aus Facebook ist tatsächlich (und jetzt kommt die versprochene Kulturkritik) so etwas wie ein Internet im Internet geworden: ein Mikrokosmos der neuen Welt, die uns allen ja irgendwie passiert ist. Im Jahr 2014 leben Milliarden Menschen in einer Welt, die weder George Orwell noch Aldous Huxley so vorhergesehen hat. Beide hatten ihre eigenen ganz besonders düsteren Vorstellungen von der Zukunft, aber was wir heute sehen, ist eher eine Kombination der Dystopien von „1984“ und „Brave New World“.

Orwell sah einen klassischen Polizeistaat mit flächendeckender Überwachung, staatlichem Terror und totaler Kontrolle. Huxley eine Welt voller Unterhaltung, Drogen und Trivialitäten – in der der Einzelne den Blick für das Wesentliche verliert. Beide hatten recht und unrecht. Die Realität hat ihre Befürchtungen überholt.

Tatsächlich haben die westlichen Geheimdienste (und da allen voran die NSA) nach der historischen Niederlage am 11.September 2001 ein Überwachungssystem aufgebaut, das derart umfangreich und flächendeckend sein dürfte, dass sogar altgedienten Stasi-Offizieren in Ostberlin die Spucke wegbleibt. Gleichzeitig verbreiten wir vollkommen freiwillig (gerade über Facebook) so viel trivialen Unsinn, dass man die Ursachen der globalen Finanzkrise auch da suchen könnte. Der Gesamtproduktivität kann der Aufstieg dieses Aufmerksamkeitsfressers Facebook nicht gutgetan haben.


Aber andererseits können wir uns jetzt wenigstens nicht mehr auf „die da oben“ ausreden. Soll heißen: Die Eltern und Großeltern der heute 30-Jährigen hatten alle nur einen „Freund“, der sie regelmäßig mit herzigen Hunde- und Katzenfotos versorgt hat: Hans Dichand.

Ihre Kinder und Enkel der Generation Facebook nehmen diese Dinge selbst in die Hand. Im Guten wie im Schlechten. Bei Katzenfotos und bei Nachrichten. Was bei den Es-ist-alles-sehr-schlimm-Beschwerden nämlich oft vergessen wird, ist, dass der Mensch mit den Herausforderungen der Technik zu wachsen scheint. In vielen Bereichen hat das Internet nämlich tatsächlich die viel debattierte Demokratisierung erreicht.

Es benötigte nur einen Mutigen unter vielen tausend, der seinen Mitmenschen von der illegalen Überwachung durch den Staat berichtete: Edward Snowden. Und wer hinter die Katzen- und Partyfotos blickt, wird eine gut informierte und hochpolitische Generation entdecken, die sich weder von Politikern noch von den Medien abspeisen lässt.

Diese Generation entwickelt ihre eigenen Mittel, um die Gefahren neuer Technologien zu minimieren und die Vorteile zu maximieren.

Nikolaus Jilch gefällt das.

nikolaus.jilch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2014)

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