Ist es bewusste Provokation oder pure Gedankenlosigkeit?
Die FPÖ-nahe Zeitschrift „Zur Zeit“ veröffentlicht eine Karikatur, in der die Ausschreitungen rund um den Akademikerball als „Kristallnacht“ bezeichnet werden (siehe Seite 7). Eine klare Anspielung auf das, was die Nationalsozialisten zynisch „Reichskristallnacht“ nannten: die Pogrome im November 1938, die den Beginn der systematischen Judenvernichtung markierten.
Nun kennt man ja das Spiel der Freiheitlichen mit Tabus und Provokationen schon zur Genüge: Eine Ungeheuerlichkeit wird in die Welt gesetzt, relativiert, umgedeutet, halb zurückgenommen – und schon ist man im Gespräch. So auch hier: „Es gibt keine historische Anspielung und auch keinen Vergleich“, sagt „Zur Zeit“-Chefredakteur Wendelin Mölzer. Er ist nicht nur der Sohn des prominenten FPÖ-EU-Abgeordneten Andreas Mölzer, sondern auch selbst Nationalratsabgeordneter.
Provokateuren sollte man nicht auf den Leim gehen. Trotzdem scheint hier eine Klarstellung angebracht: So sehr die Ausschreitungen im Umfeld des FPÖ-Balls auch abzulehnen sind, haben sie doch nichts, aber schon rein gar nichts mit den von oben gesteuerten Pogromen zu tun. Wer die sicherlich zu verurteilenden Gewaltakte auf eine Stufe mit gezielter Drangsalierung und Ermordung eines Teils der Bevölkerung stellt, verhöhnt die Opfer.
Bleibt die Interpretation, die Karikatur sei einfach passiert und niemand habe sich dabei etwas gedacht. Das ist zwar unwahrscheinlich – aber auch diese Variante wäre ziemlich erschreckend.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2014)