Masern: Die Profiteure der Impfangst

Impfung, Symbolbild
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Die Zahl der Impfungen gegen Masern geht zurück – die Zahl der Krankheitsfälle steigt dadurch wieder. Das Ziel, die Krankheit in Europa bis 2015 auszurotten, rückt in weite Ferne.

In den vergangenen Tagen häufen sich – nicht zuletzt aufgrund einer aktuellen Kampagne des Gesundheitsministeriums – die Berichte über die Rückkehr der Masern, einer – besonders für Kinder – potenziell tödlichen Viruserkrankung.

1 Die Masern? Ist diese Krankheit nicht längst ausgerottet?

Eigentlich sollten die Masern bis 2015 in Europa ausgerottet sein: Zumindest haben sich die 52 europäischen Mitglieder der Weltgesundheitsorganisation WHO genau das vorgenommen – dass die Krankheit bis zum nächsten Jahr eliminiert sein sollte, wie es in Amerika bereits 2002 gelungen ist.

Bloß: Dieser Zeitplan ist nicht haltbar, wie sich jetzt herausstellt – um von einer „Ausrottung“ der Krankheit zu sprechen, dürfte jährlich maximal ein Krankheitsfall pro einer Million Einwohner auftauchen; in Österreich also gerade einmal acht Fälle im Jahr.

Allein 2014 ist dieser Grenzwert schon jetzt um ein Vielfaches überschritten: „Wir haben bereits 32 Fälle in Wien und in Niederösterreich, weiters nochmals zwei Fälle bei medizinischem Personal in Spitälern in Wien und Niederösterreich“, erklärte Heidemarie Holzmann vom Department für Virologie der Med-Uni Wien am Dienstag gegenüber der Austria Presse Agentur. Mehr als zehn Fälle seien alle an einer Montessori-Schule ausgebrochen. Damit setzt sich der Trend des Vorjahres fort: Von 2012 auf 2013 hat sich die Zahl der gemeldeten Masernkranken von 30 auf 79 fast verdreifacht.

2 Wieso schafft es Österreich nicht, die Krankheit auszulöschen?

Es lassen nicht genügend Eltern ihre Kinder impfen – bzw. Erwachsene ihren Impfschutz nachholen. Dem nationalen Impfplan 2014 des Gesundheitsministeriums zufolge – das ist die Empfehlungsliste von 18 durch Impfungen vermeidbare Krankheiten von Diphterie bis Zoster, die das Ministerium gemeinsam mit Experten erarbeitet hat – müssten zumindest 95Prozent der Bevölkerung die zweiteilige Impfung gegen Masern (enthalten in der Dreier-Impfung gleichzeitig mit Mumps und Röteln) erhalten, damit auch die unter elf Monate alten Kinder (die noch nicht geimpft werden können) statistisch geschützt sind.

Dieser Wert wird jedoch in Österreich deutlich verfehlt: Bei der ersten Teilimpfung für Kinder liegt die Durchimpfungsrate bei 90Prozent, für die zweite überhaupt nur noch bei 80Prozent, Tendenz fallend. Als Grund dafür haben Virologen eine wachsende Impfskepsis bei Eltern ausgemacht, verbreitet besonders unter Personen mit hohem Bildungsniveau.

3 Welche Maßnahmen werden unternommen, um gegenzusteuern?

Einerseits enthält der Impfplan 2014 die Ausweitung des kostenlosen Masern-Impfschutzes bis zu 45 Jahren: Jeder, der bis zu diesem Alter keinen Impfschutz hat (was durch einen einfachen Antikörpertest festgestellt wird), kann sich gratis impfen lassen. Andererseits versucht das Ministerium, mittels einer Informationskampagne (unter anderem über die Webseite keinemasern.at) der steigenden Impfskepsis entgegenzuwirken.

4 Wird auch die Grippeimpfung empfohlen?

Mit Beginn der Grippesaison bzw. jener der grippalen Infekte vergangene Woche steht auch ein weiteres Schlachtfeld zwischen Impfbefürwortern und -gegnern wieder im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit: Der Grippemeldedienst der Stadt Wien vermerkte vergangene Woche rund 8400 Neuerkrankungen an grippalen Infekten und „echter Virusgrippe“.

Und da fangen die Differenzen schon an: Marcus Franz, bis vor Kurzem Primar und ärztlicher Direktor des Wiener Hartmann-Spitals, kritisiert diese Informationspolitik als „Panikmache“: „Die Zahlen der Influenzakranken werden willkürlich mit jenen der an harmlosen grippalen Infekten Erkrankten vermischt.“ Franz freut sich in einer Aussendung, dass die Österreicher „eigenverantwortlich bleiben“, weil die Grippeimpfung längst nicht für alle sinnvoll sei, sondern hauptsächlich für Menschen über 65 – und da auch nur für jene, die schon an anderen Krankheiten leiden.

Das zumindest sehen Ministerium und Experten anders: Im Impfplan 2014 wird explizit „jedem, der sich schützen will“, empfohlen, jährlich zur Grippeimpfung zu gehen.

5 Wie viele Österreicher lassen sich gegen Influenza impfen?

Die Empfehlung des Ministeriums stößt weitgehend auf taube Ohren: In einer jüngst in der Impf-Fachzeitschrift „Vaccine“ erschienenen Studie der Med-Uni-Sozialmedizinerin Ursula Kunze wird festgehalten, dass die Influenza-Immunisierungsrate der Österreicher mit weniger als zehn Prozent der Bevölkerung zu den weltweit niedrigsten überhaupt zählt.

Obwohl jährlich zehntausende Österreicher an Influenzaviren erkranken, sinkt die Durchimpfungsrate seit Jahren deutlich: Waren 2005 noch 138 von 1000 Österreichern gegen Influenza geimpft, waren es 2011 nur noch 81.

Wie viele Österreicher jährlich an Grippe sterben, ist Kunze zufolge auch in der Wissenschaft umstritten: Gehen manche Experten von bis zu 6000 Influenzatoten pro Jahr aus, kommt eine jüngere Studie auf „nur“ durchschnittlich rund 1000 Tote pro Jahr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2014)

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