Tumor mit 14: »Ich hatte so viel Wut, die musste raus«

Nino Rauch
Nino Rauch(c) Clemens Fabry
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Als er 14 ist, wird bei ihm ein bösartiger Tumor über dem Rachen entdeckt. Über die schwierige Zeit, die er im Krankenhaus verbringen musste und seinen Sieg über den Krebs hat Exfußballer Rauch ein Buch geschrieben,

Natürlich ist er schon ziemlich lange verschnupft, und die Ohrenschmerzen werden auch nicht besser. Manchmal kann er deswegen die Anweisungen seines Fußballtrainers nicht mehr richtig hören. Aber wegen einer Erkältung geht man nicht zum Arzt, das hat der Papa daheim immer gesagt. Auch hier im St. Pöltner Sportgymnasium gelten diejenigen, die gleich zum Arzt rennen, als Weichlinge.

Und so einer ist Nino Rauch nicht. Er ist 14, trainiert hart, ernährt sich gesund, denn er hat ein Ziel: Er will Profifußballer werden. Der HNO-Arzt beruhigt, das sei nur eine Erkältung, die Mutter allerdings schleppt ihren ältesten Sohn von Arzt zu Arzt. Bis einer trocken die Diagnose stellt: „Es handelt sich entweder um Polypen. Oder um einen Tumor.“ Es ist Letzteres. Ein mandarinengroßer Tumor über dem Rachen, zu groß, um operiert zu werden. Nino Rauch ist an einer besonders aggressiven Form von Lymphdrüsenkrebs erkrankt und muss sich einer intensiven Form der Chemotherapie unterziehen. Die Überlebenschance: 50Prozent. Entweder die Therapie greift beim ersten Mal. Oder er stirbt.

Rauch hat es geschafft. Über seine Erfahrungen, die ihn, der sich so stark, so unbesiegbar gefühlt hat, aus der Bahn geworfen haben, hat der heute 26-Jährige ein Buch geschrieben („Leben ohne Ende“), das nächste Woche erscheint. 2011 hat er mit dem Schreiben begonnen, „mit einem gesunden Abstand. Als ich aus dem Spital entlassen wurde, habe ich nur nach vorn geschaut, wollte leben, habe die Krankheit komplett verdrängt“, sagt Rauch.


Fehl am Platz. Beim Aufarbeiten seien verdrängte Bilder wieder hochgekommen: der Geruch von Desinfektionsmittel, die unendliche Übelkeit, die „kotzgelben Wände“ in seinem Zimmer im St. Anna Kinderspital. Als 14-Jähriger war Rauch dort der älteste Patient, nicht mehr Kind, noch nicht Mann, pubertär, fühlte sich fehl am Platz.

Zuerst will er die Krankheit nicht wahrhaben. „Ich habe auch lange nicht begriffen, dass ich Krebs habe. Das Wort ist erst sehr spät gefallen“, sagt er. „Ein bösartiger Tumor klang natürlich auch nach schwerer Krankheit, aber als Jugendlicher ist der Tod etwas sehr Unwirkliches.“ Die Ärzte sieht er als Feinde, die ihn wie ein Kind behandeln und ihn von seiner Leidenschaft, dem Fußballspiel, abhalten. „Dann ist eben das Krankenhaus mein Gegner“, schreibt er. Die Mutter, Tag und Nacht an seiner Seite, geht ihm auf die Nerven. Ungeschönt beschreibt Rauch sein Verhalten. In dieser ersten Phase ist er aggressiv, „das Gesicht meiner Mutter kann ich nicht mehr sehen. Ich belle zurück, wenn sie mich anspricht.“ Heute sei er ihr unendlich dankbar, dass sie für ihn da war, sagt Rauch. „Aber ich hatte so viel Wut in mir, die musste ich rauslassen.“

Das Fehlen der Privatsphäre setzt ihm zu, die Ärzte kommen ins Zimmer, ohne zu klopfen. Bevor der erste (von vier) Chemoblöcken losgeht, fordert ihn ein Arzt auf, schnell im Bad zu onanieren – um sein Sperma einfrieren zu können, da er von der Chemo unfruchtbar werden könnte. „Da ist mir die Peinlichkeit ins Gesicht geschossen. Ich war 14, und der Arzt wollte, dass ich neben meiner Mutter onaniere.“

Bald ist er von der Chemo so geschwächt, dass er kaum noch aufsteht. Besuch lässt er nicht zu, den Kontakt zu seiner Freundin bricht er ab, zu sehr schämt er sich für seinen Anblick. Als Nebenwirkung entzünden sich die Schleimhäute, sein Mund fühlt sich an, als hätte ihm jemand „dort tausende Schnitte mit einem scharfen Messer zugefügt“. Zähneputzen wird unmöglich, Essen zur Qual. Er ist zu schwach, um gegen die Ärzte zu kämpfen. Die Behandlung erträgt er stoisch.

Doch irgendwann packt ihn der Wille zu überleben. Er kämpft. Diesmal mit den Ärzten. Was genau der Auslöser war, weiß er nicht. Vielleicht war es das Kind, das nebenan gestorben ist. Ihre beiden Zimmer waren über eine Oberlichte verbunden. Eines Nachts wurde er vom Blitzen einer Kamera geweckt. Im Nebenraum schossen Eltern die letzten Fotos ihres Kindes, das im Sterben lag. „Da ist mir klar geworden: Da stirbt ein Kind, und der Tod kann auch mich treffen.“ Motiviert hat ihn auch die Biografie von Ex-Radprofi Lance Armstrong, der ebenfalls den Krebs besiegt hat. Genau das, Mut machen, will auch Rauch mit seinem Buch. „Ich will Kindern, die Krebs haben, zeigen, dass man ihn besiegen kann.“

Nach dem vierten Chemoblock wird Rauch im Februar 2001 entlassen. Gegen den Rat der Ärzte kehrt er schnell an das Sportgymnasium zurück. Wenige Monate später steht er wieder auf dem Spielfeld. Wird eingewechselt und schießt – ja, das klingt nach Hollywood-Kitsch – ein Tor. Später wird er ins U17- und U19-Nationalteam einberufen, nebenbei studiert er Psychologie. Vor einigen Jahren schließlich gibt er die Sportlerkarriere auf. Heute arbeitet er in Wien für ein Corporate-Finance-Unternehmen.

Zehn Jahre lang muss er immer wieder zur Kontrolle ins Spital. Jedes Mal kommt die gute Nachricht: Alles okay. „Ich habe“, schreibt er, „den Mistkerl besiegt, und das vier zu null.“

Weitere Bücher über Krebs

Es gibt unzählige Selbsterfahrungsberichte von Krebskranken oder ihren Angehörigen. Das sind die besten drei:

Ruth Picardie – „Es wird mir fehlen, das Leben“: Schon ein paar Jahre alt ist diese Kolumnensammlung der 1997 mit 33 verstorbenen britischen Journalistin und zweifachen Mutter. Eines der komischsten und berührendsten Bücher zum Thema.

Christoph Schlingensief – „Tagebuch einer Krebserkrankung“: Die gleichermaßen tiefsinnige wie bisweilen geschwätzige Auseinandersetzung mit Gott und dem Sterben stammt von dem 2009 verstorbenen Theatermacher.

Werner Schneyder – „Krebs. Eine Nacherzählung“: Der Kabarettist verlor 2005 seine Frau an den Krebs. Er schildert ihre und seine Qualen sowie das Abschiednehmen. awa

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2014)

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