Terror in Sotschi: Razzia in Österreich

OLYMPIA - Olympische Spiele 2014, Sicherheitskontrollen
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Wegen eines vermeintlich geplanten Anschlags in Sotschi stürmte die Polizei vor zwei Wochen die Wohnungen von Tschetschenen. Sprengstoff fand man keinen. Die Verdächtigen wurden am selben Tag freigelassen.

Es sind beunruhigende Nachrichten, die das österreichische Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) im Herbst 2013 aus Russland erreichen. Mehrere in Österreich lebende Tschetschenen würden einen Terroranschlag bei den Olympischen Spielen in Sotschi im Februar 2014 vorbereiten, berichten die Kollegen vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB. Der konkrete Verdacht: Ein 31-jähriger Mann, sein Name ist Islam N., soll vom radikalislamischen Rebellenführer Doku Umarow dazu auserwählt worden sein, während der Sportveranstaltung einen Terroranschlag zu verüben. Die russischen Kollegen übermitteln den Wienern mehrere Berichte mit angeblichen Beweismitteln.

Gestützt auf die Informationen des FSB beginnt das BVT seine Observation. Seit Oktober 2013 werden Islam N., seine Schwester, vier weitere befreundete Tschetschenen und andere Personen in der österreichischen Diaspora überwacht. Ihre Telefonate werden abgehört, ihre Treffen beschattet, sie werden fotografiert. Nach mehreren Wochen Beobachtung scheint sich der Verdacht zu erhärten. Die Staatsanwaltschaft Wien erteilt Mitte Jänner einen Durchsuchungsbefehl für die Wohnungen der Tschetschenen.

Im Durchsuchungsbefehl, der der „Presse am Sonntag“ vorliegt, wird von einem „sehr konspirativen Verhalten“ der Verdächtigen gesprochen: Sie würden sich an öffentlichen Orten treffen, um Beobachtungen zu erschweren. Als Argument dienen auch die russischen Ermittlungsergebnisse. Schließlich: „Aufgrund der bisher ermittelten Erkenntnislage [...] ist begründet davon auszugehen, dass die bisher erkannten Verdächtigen tatsächlich solche Tatvorbereitungen unternehmen bzw. an der Umsetzung von terroristischen Anschlägen aktiv mitwirken werden.“ Die Behörden gehen von einem „Anschlagsszenario eher kurz vor den Olympischen Spielen“ aus. Ein Datum für den Zugriff wird bestimmt: der 23. Jänner. Es bleiben zwei Wochen bis zur Eröffnung der Winterspiele.

Wohnungen gestürmt

Donnerstag, 23. Jänner, kurz vor sechs Uhr Früh. Einsatzkräfte der Spezialeinheit Cobra stürmen nach Kenntnis der „Presse am Sonntag“ sechs Wohnungen. Es sind die von Islam N., Aslan N., Alichan M., Apti D., Ajub M. und Birlant D. Österreichweit könnten es mehr gewesen sein. Das Innenministerium schweigt gegenüber der „Presse am Sonntag“ wegen „laufender Ermittlungen“.

Es ist eine konzertierte Aktion mit enormem Personalaufwand. Dutzende Beamte sind im Einsatz. Islam N. und seine Freunde, die im Gespräch mit dieser Zeitung die Vorgänge dieses Tages rekonstruieren, zählen jeweils zehn bis 20 Polizisten vor Ort. Es ist eine Antiterroroperation, von der sich die Ermittler offenbar Funde von Sprengstoff und Anschlagsplänen erwarten. Man hofft, gefährliche Terroristen gefangen nehmen zu können. Doch die Hoffnung bestätigt sich nicht. Am selben Abend, zwölf Stunden später, werden die fünf Männer und die Frau wieder freigelassen. Die gegen sie erhobenen Anschuldigungen werden fallen gelassen.

Es war keine erfolgreiche Operation. Die österreichischen Behörden machten den Einsatz nicht publik. Erst in amerikanischen Medien tauchte vor einigen Tagen überraschend die Information auf, dass es in Österreich und in Frankreich Verhaftungen in Zusammenhang mit geplanten Anschlägen in Sotschi gegeben habe. In Österreich seien sechs Personen kurzzeitig verhaftet und wieder freigelassen worden, berichtete etwa der Fernsehsender CNN am Freitag. Auch von zwei kurzzeitig festgenommenen Frauen in Frankreich war die Rede. Die Verhaftungen wurden in Zusammenhang mit in Zahnpastatuben geschmuggeltem Sprengstoff gestellt. Der Zahnpastaverdacht spielte aber bei den der „Presse am Sonntag“ bekannten Ermittlungen keine Rolle. Dafür aber andere Vorwürfe.

Falscher Verdacht?

Islam N. sagt, er habe geahnt, dass er abgehört wurde. Er habe beim Telefonieren das Echo seiner eigenen Stimme gehört. Auch ahnte er, dass man ihn beschattete. Aber dass vermummte Antiterrorpolizisten seine Haustür aufbrechen und ihn zu Boden werfen würden, damit hatte er dann doch nicht gerechnet. Doch genau das passierte am 23. Jänner. Sein Bruder, Aslan N., sagt, er habe jetzt Probleme in der Arbeit. Seine Nachbarn schauten ihn schief an. Sie seien offenbar davon überzeugt, er sei ein Terrorist. „Wenn ich ein Verbrechen begehen wollte, würde ich mich nun verstecken“, sagt er. „Aber das tue ich nicht. Die Anschuldigungen sind falsch.“

Islam N. und seine Freunde sind Ende 20, Anfang 30. In den 1990er-Jahren, als der erste Tschetschenien-Krieg stattfand, waren sie Kinder. Im zweiten Krieg, in den Nullerjahren, waren sie Jugendliche. Sie fanden an den Kämpfern im Wald Gefallen. Manche von ihnen haben sie unterstützt. Das ist der Grund, warum sie in Österreich um Asyl angesucht haben. Die österreichischen Asylbehörden urteilten, dass ihnen tatsächlich in ihrer Heimat Verfolgung drohe: Drei der fünf sind anerkannte Flüchtlinge. Für sie sind die Kämpfer im Wald noch immer „Patrioten, die ihr Land verteidigen“ – gegen das Regime von Ramsan Kadyrow, der von Moskau gestützt wird. In Österreich, sagen sie, wollen sie nur eines: in Frieden leben. Gegen die Gesetze dieses Landes würden sie nicht verstoßen wollen.

Terrorangst in Sotschi

Russland, ein paar Monate vor den Olympischen Spielen. Seit dem Sommer geht wieder die Terrorangst um. Anfang Juli 2013 hat der tschetschenische Extremist Doku Umarow in einer Videobotschaft zu Anschlägen gegen Ziele in Sotschi aufgerufen. Umarows Rebellen kämpfen in den Wäldern des Nordkaukasus gegen russische Sicherheitskräfte – und planen die Errichtung eines islamistischen Kaukasusemirats. Auch wenn sie immer wieder kleine Siege in dem bewaffneten Konflikt verzeichnen können, dürften sie nach Jahren des Antiterrorkampfes der russischen Sicherheitskräfte personell geschwächt sein.

Unverbrauchte Kämpfer zieht es derzeit eher in den Jihad nach Syrien, wo die Errichtung eines Gottesstaates greifbarer scheint. Jedenfalls beendete Umarow das Moratorium für Anschläge gegen Zivilisten, das er nach den russischen Antiregierungsdemonstrationen vor zwei Jahren ausgerufen hatte. Seit dem vergangenen Sommer haben mehrere Selbstmordattentäter Umarows Drohung wahr gemacht – zwar nicht in Sotschi, aber in der umliegenden Region. In der Stadt Pjatigorsk explodierte ein Auto vor einer Polizeiwache, im südrussischen Wolgograd wurden drei Selbstmordanschläge verübt. Das Horrorszenario für die russischen Sicherheitskräfte ist eine Bombe während der Olympischen Spiele direkt in Sotschi. Es gibt zwei Befürchtungen: Mögliche Attentäter könnten vor Ort eingeschleust worden sein, noch bevor man den Sicherheitsring um die Stadt gezogen hat. Oder aber ein Attentäter könnte kurzfristig einreisen. Es ist dieser Verdacht, der gegen Islam N. geäußert wurde.

Islam N. und seine in den Dokumenten als „Unterstützer“ bezeichneten Freunde bestreiten vehement die Version der Behörden. Das BVT verweist auf eine angebliche Verbindung zwischen N. und einem als „Emissär“ des Kaukasusemirats in Österreich bekannten Mann. Dabei stützt man sich auf Erkenntnisse des FSB. N. streitet ab, den Mann zu kennen. Weiters wird auf eine angebliche Audiobotschaft verwiesen, die Islam N. von Umarow erhalten haben soll, in der dieser den Bau von Bomben erklärt. Islam N. will eine solche Botschaft niemals erhalten haben. Auch den österreichischen Behörden dürfte sie nicht vorliegen, da der Verdächtige bei seiner Vernehmung damit nicht konfrontiert wurde. Man konfrontierte die jungen Männer dafür mit Gesprächsfetzen aus ihren eigenen Unterhaltungen: Warum sie über Flugzeuge und Visa gesprochen hätten? Was das zu bedeuten habe? Besonders „heiß“ dürften die Unterhaltungen nicht gewesen sein: Von Bombenbauplänen war offenbar nicht die Rede gewesen.

Eine weitere Hauptrolle soll laut Darstellung des BVT N.s Schwester spielen, Birlant D. Sie soll bei früheren Vernehmungen gegenüber den Behörden angegeben haben, von in Sotschi geplanten Terroranschlägen zu wissen. Ihr Bruder kontert, Birlant habe lediglich zu Protokoll gegeben, dass Anschläge gut möglich seien. Man habe ihr danach fälschlicherweise in den Mund gelegt, von konkreten Anschlagsplänen zu wissen. Faktum ist: Diese Information allein reichte schon aus, um gegen Birlant D. den Verdacht der terroristischen Vereinigung zu erheben.

Es gibt eine Vermutung, warum die fünf Burschen und die Frau ins Visier der Terrorfahnder geraten sein könnten: Islam N. wird in der Russischen Föderation von der Polizei gesucht. Es geht um diese alte Sache, seine Unterstützung für die tschetschenischen Rebellen. Aus Sicht der russischen Behörden wäre es wünschenswert, wenn man N. zu fassen kriegen könnte, wenn nötig auch mit ausländischer Hilfe. Die ersten belastenden Informationen über die vermeintliche Terrorgruppierung um Islam N. hat das BVT jedenfalls vom russischen Geheimdienst erhalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2014)

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