Das schmerzhafte Ende der Gutenberg-Galaxis

Der Wechsel vom autoritativen Text zum viralen Gerücht ist allseits bemerkbar. Auch und vor allem in den Medien. Diese Woche besonders im „Profil“.

Von dänischen Literaturwissenschaftlern stammt die These, dass sich gerade die „Gutenberg-Klammer“ schließt. Die fast ein halbes Jahrtausend währende Epoche, in der die Sphäre von Wissen und Kommunikation durch das gedruckte Wort und den autoritativen Text dominiert wurde, ist zu Ende. Wir schließen dort an, wo wir vor der Gutenberg-Klammer waren. Lineare, in Codices festgelegte Vorstellungen von Wissen und Wahrheit verschwinden, an ihre Stelle treten Netzwerklogiken, in denen, wie in der mittelalterlichen Stadt, die persönliche Weitergabe von Nachrichten in der Rohfassung des Gerüchts und seine allfällige Bestätigung durch Personen unseres Vertrauens die Hauptrolle spielen.

Wer sich diese These einmal zu eigen gemacht hat, findet überall Belege für ihre Plausibilität, vor allem natürlich in den Medien, die sich gerade mit dem Übergang von der Gutenberg-Galaxis zu was auch immer quälen.

Unlängst tauchte beispielsweise in den sozialen Netzwerken die Frage auf, wie denn die Österreichische Hochschülerschaft (ÖH) Thomas Stauffer, dem „Leiter ihrer Buchhandlung“, 2012 das vom Rechnungshof ermittelte Jahresgehalt von 458.000 Euro zahlen könne. Wenig später erschien im Nachrichtenmagazin „Profil“ eine sich ungefähr auf diesem Twitter-Niveau bewegende Geschichte, von der es eine Woche später hieß, dass sie „die medialen Wogen hochgehen“ habe lassen – was ihr ausschließliches Ziel gewesen sein dürfte.

Über Konstruktion, Geschäftsmodell und Geschäftsentwicklung der Aktiengesellschaft, welcher der „Leiter der Buchhandlung“ vorsteht, erfährt der geneigte „Profil“-Leser jedenfalls noch immer nichts. Man zitiert nur in ungewöhnlich langen Passagen wörtlich aus einer Stellungnahme des kurzerhand zum Beschuldigten gewordenen Vorstands.

Am Ende werden alle Beteiligten – der Rechnungshof, die Journalisten und die linken ÖH-Funktionäre – erklären, dass sie die Rechtmäßigkeit von Stauffers Bezügen nie infrage gestellt, sondern nur einen „Diskurs“ über deren Höhe und ihre Berechtigung hätten führen wollen. Dafür, dass der Mann, der aus ein paar Skriptenkopierern einen erfolgreichen Verlag (Facultas) gemacht hat, zwei Wochen als fette „Nehmer“-Sau durchs Dorf getrieben wurde, wird dann niemand etwas gekonnt haben.

In derselben, der aktuellen Nummer des „Profil“ findet sich ein Text von Hans Hurch, der seit 1997 das Wiener Filmfestival Viennale leitet. „Das Ende der Geisterstunde“ lautet der vielversprechende Titel, es wird angekündigt, dass Herr Hurch Vorschläge für eine „Neuaufstellung der Kulturnation“ aus Anlass der „aktuellen Krise des Burgtheaters“ präsentieren werde. Es handelt sich dann aber eher um den als Essay getarnten Tagebucheintrag eines Subventionskonkurrenten, der die Gelegenheit nutzt, der Welt mitzuteilen, dass Herr Hans Hurch Burgtheater-Direktor Matthias Hartmann nicht mag. Das ist natürlich Herrn Hurchs gutes Recht.

Auch der zweite Teil beginnt vielversprechend und ohne falsche Bescheidenheit: „Was keiner der zahlreichen Journalisten, Kommentatoren, Beamten und Funktionäre bisher zu denken wagte oder denken wollte“, das liegt jetzt, dank der Hurch'schen Intervention „in greifbarer Nähe“: nämlich, ein paar Fragen zum kulturellen Selbstverständnis des Landes zu stellen. Wow, wirklich eine seltene Chance.

Sie wird vertan mit dem üblichen Alt-68er-Geschwafel über die Verlogenheit des „Kulturnation“-Mythos, mit dem „dieser Staat“ nach der Barbarei „sein Existenzrecht moralisch rechtfertigte“. Hurchs Subventionsexegese ist mit den etwas ausgewaschenen Worttextilien linken Diskursgequatsches angetan, das darin gipfelt, als zentrales Element einer „neuen, fantasievollen und gestalterischen Kulturpolitik“ die Auswahl einer „Handvoll neuer, mutiger und unabhängiger Beraterinnen und Berater“ zu fordern.

Ich hätte nicht geglaubt, dass das Ende der Gutenberg-Galaxis so schmerzhaft werden wird.

E-Mails an:office@michaelfleischhacker.atZum Autor:

Michael Fleischhacker (*1969) arbeitete als
Journalist bei der
„Kleinen Zeitung“
und beim „Standard“, ab 2002 bei der „Presse“.
Von 2004 bis 2012 war er Chefredakteur der „Presse“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2014)

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