Die Regierung will eine neue Normenstrategie für Österreich entwickeln und das Normengesetz novellieren. Ziel ist es, so heißt es aus dem Wirtschaftsministerium, die Flut an neuen Normen zu beschränken.
Wien. Seit Jänner 2014 verlangt das Austrian Standards Institute (ASI) von allen Experten, die an der Entwicklung von ÖNORMEN mitwirken, einen Jahresbeitrag von 450 Euro. Ein Schritt, der dem Normungsinstitut schon in den vergangenen Monaten vehemente Kritik einbrachte. Von dieser Maßnahme sind nämlich rund 6000 Fachleute betroffen, die bei der Entstehung von Normen mitwirken, und zwar unentgeltlich. Die Kammer der Architekten und Bauingenieure (BAIK) zeigte sich über das Vorgehen des ASI schon vor Monaten empört und zog als Konsequenz seine Fachleute aus allen Gremien des ASI ab.
Die technischen Universitäten Österreichs haben es dem BAIK gleichgetan, die Präsidentin der TU Austria, Sabine Seidler, empfahl ihren Wissenschaftlern, künftig an den Normungsausschüssen nicht mehr mitzuwirken: „Für ihre Mitarbeit haben unsere Wissenschaftlerinnen und Forscher bis dato bereitwillig Zeit und Geld investiert. Die Reisekosten und die Arbeitszeit wurden von jedem Ausschussmitglied selbst oder über Mittel der Universität getragen. Motiviert hat sie dabei die Aussicht auf Mitgestaltung durch das Einbringen ihrer objektiven Expertise.“ Wieso man nun dafür noch zahlen soll, sieht Seidler nicht ein. Die Direktorin des ASI, Elisabeth Stampfl-Blaha, kann ihre Reaktion nicht verstehen: „Ich würde mir eine sachliche Auseinandersetzung wünschen und auch, dass nicht so viel Energie in emotionalen Kämpfen verloren geht. Ich frage mich, ob die TU ihren Studierenden vom Studium an der TU auch abraten würde, wenn sie dafür eine Studiengebühr zahlen müssten.“ Ein Vergleich, der Andreas Kolbitsch, Universitätsprofessor am Institut für Hochbau und Technologie, verärgert: „Es ist ja nicht so, dass wir in den Normungsausschüssen Neues lernen. Im Gegenteil, es sind ja wir Wissenschaftler, die ihr Wissen einbringen.“
Neue Normenstrategie längst notwendig
In der Debatte geht es längst nicht mehr nur um den Beitrag von 450 Euro. Die Aktivitäten des ASI stehen generell unter Beschuss. Die Flut an Normen, die laufend produziert würde, diene nicht dem ursprünglichen Zweck, übergeordnete gesellschaftliche Interessen zu wahren, so die Kritik. „Vielmehr engen die Regularien die Gestaltung der Planungsprozesse stark ein und verursachen v.a. eines: Kosten“, sagt Architekt Christian Aulinger. Auch der Regierung ist bewusst, dass es im Bereich Normung einiges zu verbessern gibt. Dem Regierungsprogramm ist zu entnehmen, dass eine neue Normenstrategie in Österreich geschaffen werden soll. „Es ist notwendig, einerseits die Rolle des Staates, andererseits die der Normungsteilnehmer und der Wirtschaft klar zu definieren“, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium.
Überlegt wird auch, das Aufsichtsrecht des Ministeriums über das ASI, das ein privater Verein ist, zu stärken. Bisher hatte der Staat keinen direkten Einfluss auf die Normung. Das Wirtschaftsministerium überprüfte lediglich die Einhaltung des Normengesetzes. In Zukunft soll Normung – so der Plan – nur auf Antrag erfolgen. Gegen die Anträge soll es ein Einspruchsrecht geben. Damit soll laut Wirtschaftsministerium die Flut an neuen Normen beschränkt werden. Die BAIK begrüßt die Initiative des Ministeriums freudig. „Wir stellen unsere Erfahrung bei diesem zentralen Reformprozess sehr gern zur Verfügung“, so die Einladung von Aulinger. Auch mit konkreten Verbesserungsvorschlägen zum Normengesetz wartet er auf. Das Gesetz aus dem Jahr 1971 soll, so hat es die Regierung vor, auch reformiert werden. Schlankere Strukturen will die BAIK darin verankert sehen, damit endlich effizienter gearbeitet wird. Und ein Realitätscheck stehe an: Neue, aber auch bestehende Normen sollten überprüft werden, damit klar wird, welche Kosten sie verursachen und wie sie sich auf Wachstum und Beschäftigung auswirken.
Einer sachlichen Diskussion sowohl zur neuen Normungsstrategie als auch zur Novellierung des Gesetzes steht auch das ASI offen gegenüber. „Bei der aktuellen Diskussion hat mich doch überrascht, wie viele Missverständnisse über Normung in Österreich noch immer bestehen beziehungsweise geschürt werden“, sagt Stampfl-Blaha. Weder wolle das ASI mehr Normen, um reich zu werden, noch initiiere es auch nur eine einzige Norm, betont die Direktorin. Zurückhaltender zeigt sie sich bei dem Thema „Novellierung des Normengesetzes“: „Ich halte nichts davon, ein qualitativ gutes Gesetz unnötig aufzublähen. Es ist inhaltlich hervorragend, nur von den Worten her hie und da überholt“, sagt sie.
Altmodische Wörter wie „Register“ gegen „Datenbanken“ auszutauschen und zu sichten, was noch passend sei und was nicht, dagegen spreche freilich nichts. So weit ist man ohnehin noch lange nicht. Laut Ministerium beginnen nun erst die Arbeiten an der neuen Normungsstrategie. Sie soll in diesem Jahr im Ministerrat beschlossen werden. Erst dann wird an der Novelle zu basteln begonnen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2014)