Charlotte Gainsbourg: Skandalerprobt

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Charlotte Gainsbourg spricht über Lars von Triers Film „Nymphomaniac“, in dem sie die Hauptrolle spielt, ihre berühmten Eltern, Nacktszenen – und über das Skandalöse.

(c) Christian Geisnaes
(c) Christian Geisnaes

Charlotte Gainsbourg gehört zu den mutigsten Schauspielerinnen ihrer Generation. Nach zwei Projekten mit dem dänischen Regisseur Lars von Trier war sie immer noch nicht mürbe. „Nymphomaniac“ ist die dritte Zusammenarbeit der beiden. Das ist ein Rekord. Denn so lange hat es noch keine Schauspielerin mit ihm ausgehalten. Lars von Triers Verschleiß an weiblichen Stars ist legendär. Die Sängerin Björk etwa fand die Dreharbeiten zu „Dancer in the Dark“ dermaßen belastend, dass sie nie wieder mit ihm arbeiten wollte. Und die australische Schauspielerin Nicole Kidman spricht von albtraumhaften Zuständen, sie drehte nach „Dogville“ keinen weiteren Film mit Lars von Trier. Auch mit 57 Jahren ist der dänische Regisseur immer noch das Enfant terrible der internationalen Filmszene.
Er liebt die Provokation und den Skandal. Doch damit kennt sich auch Charlotte Gainsbourg seit frühester Kindheit aus.

Denn sie ist die Tochter der französischen Chanson-Legende Serge Gainsbourg und der britischen Schauspielerin Jane Birkin. Das Stöhnduett ihrer Eltern mit dem Titel „Je t’aime . . . moi non plus“ sorgte Ende der 1960er-Jahre für weltweite Schlagzeilen. Der Song stand auf dem Index vieler Radiostationen und wurde nicht gespielt, weil er als zu anstößig empfunden wurde. Anders als ihre Eltern steht Charlotte Gainsbourg nicht gern im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Sie lebt zurückgezogen in Paris, mit dem französischen Regisseur Yvan Attal und den drei gemeinsamen Kindern.

Passion. Gainsbourg hat bereits in Lars von Triers Filmen „Antichrist“ und „Melancholia“ mitgewirkt. Für ihre Leistung in „Antichrist“ wurde sie 2009 auf den Filmfestspielen in Cannes mit dem renommierten Darstellerpreis ausgezeichnet. Neben ihrer Schauspielkarriere hat sich Gainsbourg auch einen Namen als Sängerin gemacht und mehrere Alben veröffentlicht. In „Nymphomaniac“ spielt sie die 40-jährige Nymphomanin Joe, die von dem älteren Junggesellen Seligman (Stellen Skarsgard) nach einer Schlägerei gerettet wird. Daraufhin erzählt sie ihm ihre sexuelle Lebensgeschichte, in allen Details. Das ist nicht immer leicht zu ertragen. Lars von Trier hat Medien geschickt mit der Ankündigung eines Pornos gefüttert. Und sie sprangen prompt darauf an. Doch „Nymphomaniac“ ist vielmehr Leidensgeschichte als Porno. Wer ein erotisches Kinoerlebnis erwartet, kommt hier nicht auf seine Rechnung.

Sie haben zum dritten Mal mit Lars von Trier gedreht. Ist die Zusammenarbeit mit ihm eine Freude oder eher ein Albtraum?
Von beidem etwas.

Warum haben Sie sich erneut auf ihn eingelassen?
Mit Lars zu drehen ist eine einzigartige Erfahrung. Ich weiß, dass Lars und ich mit diesem Film etwas riskieren. Das mache ich nur, weil ich ihm vertraue und ihn bewundere. Mit einem anderen Regisseur hätte ich mich wohl nicht auf so ein Wagnis eingelassen.

Wie arbeitet Lars von Trier?
Mit ihm gibt es keine Vorbereitung. Er will über die Figuren und darüber, wie sie ticken, nicht sprechen. Das müssen wir Schauspieler uns selbst erarbeiten. Trotzdem war es eine besondere Freude für mich, wieder mit ihm zu drehen und ihm vollkommen ausgeliefert zu sein.

Wie haben wir uns dieses „Ausgeliefert-Sein“ vorzustellen? 
Ich war bereit, mich in seine Hände zu begeben. Damit meine ich, dass ich ihm die Kontrolle überlassen habe. Das gefällt mir. Irgendwie mag ich es, nicht immer zu wissen, was gerade vor sich geht. Gerade bei diesem Film hatte ich das Gefühl, dass er mich an die  Hand genommen und mir den Weg gezeigt hat. 

Der Film will kein Porno sein. Es gibt allerdings viele Sexszenen.
Man muss die Sexszenen genau so zeigen. Schonungslos und ohne Scheinheiligkeit. Ich finde großartig, wie Lars das gemacht hat. Er hat das stilsicher, mit viel Humor inszeniert. Er hat das vielschichtige Porträt einer Frau geschaffen, das ich so noch nie gesehen habe. Natürlich geht es im Film um Sex. Aber für mich steht die Reise meiner Figur im Vordergrund. Sie empfindet ihr Sexleben als schmutzig und sieht sich deshalb als verdorbenen Menschen. Sie gibt sich die Schuld dafür, dass ihre sexuellen Vorlieben von der Norm abweichen. Doch am Ende des Films versteht sie besser, wer sie ist. Sie findet ihre Mitte und ihren inneren Frieden. Der Film ist kein Porno. Wer das glaubt, wird am Ende des Films enttäuscht sein.

Haben Sie sich mit dieser Frau, Joe, identifiziert?
Nicht wirklich. Sie berührt mich, ich verstehe sie, und ich habe auch viel Empathie für sie. Aber wir ähneln einander nicht. Wir denken auch nicht das Gleiche. In meiner Figur steckt viel von Lars von Trier. So interpretiere ich den Film. Es ist sein Innenleben, das er hier zeigt. Ich bin nur sein Instrument.

Hatten Sie keine Bedenken bei den vielen Nacktszenen?
Natürlich hat es mir Angst gemacht, was ich da im Drehbuch gelesen habe. Auch wegen der Sexszenen natürlich. Ich wusste, dass es eine Schauspielerin gibt, die die junge Joe spielt. Und ich habe gehofft, dass sie die eine oder andere heikle Szene übernehmen wird. Aber als ich dann genau wusste, was auf mich zukommt, war es in Ordnung. Bei „Antichrist“ war es damals genauso. Mit Nacktheit habe ich eigentlich kein Problem. Aber ich hatte Bedenken, dass es mir nicht gelingt, meine Figur angemessen darzustellen. Trotzdem hoffe ich, dass Lars mit meiner Arbeit zufrieden ist.

Das wird er Ihnen doch gesagt haben, oder?
Ja, aber er macht nicht viele Komplimente. Und ich weiß nie, ob ich es ihm wirklich rechtgemacht habe. Ich glaube, erst wenn er mit einer Szene wirklich zufrieden ist, fängt er eine neue an. Das muss man wissen, wenn man mit ihm zusammenarbeitet. Sonst ist die ganze Situation sehr verwirrend. Lars probiert viel aus, er gibt für eine Szene die unterschiedlichsten Regieanweisungen. So arbeitet er nun einmal. Als Schauspieler hat man den Eindruck, nichts passt wirklich zusammen. Aber nachher im Schneideraum ergibt dann doch alles einen Sinn. Darauf vertraue zumindest ich.

Hat sich Ihre Beziehung zu Lars von Trier verändert?
Unsere Beziehung hat sich nicht wirklich verändert. Sie ist vielleicht ein bisschen gewachsen. Aber ich kann nicht sagen, dass ich ihn wirklich kenne. Ich finde ihn immer noch sehr rätselhaft. Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt etwas über ihn weiß.

Was weiß Lars von Trier über Sie?
Er kennt mich sehr gut. Man könnte auch sagen, er kennt mich in- und auswendig, sowohl physisch als auch psychisch. Es hat mich sehr berührt, als er mir irgendwann erzählt hat:  „Ich wollte für meinen Film zwei Schauspieler, die ich wirklich liebe.“ Das war seine Art, mir zu sagen, was ich ihm wirklich bedeute. Ganz ehrlich: Ich weiß nicht einmal, warum er mich für diese Rolle besetzt hat. Ich glaube nicht, dass er einen meiner Filme gesehen hat. Man könnte sagen, zwischen uns gibt es bestimmte Tabus, Dinge, über die wir nicht sprechen. Aber ich glaube, manchmal ist es auch besser, nicht zu viel zu reden. Außerdem mag ich es, nicht durchschaubar zu sein.

Was war die intimste Szene, die Sie gedreht haben?
Die sadomasochistische Szene habe ich als sehr intim empfunden. Denn sie hat sich auch ein bisschen erniedrigend angefühlt. Das liegt auch an der Stellung, in der ich ausharren musste. Das war nicht ganz einfach für mich. Aber Lars habe ich das nicht gesagt. Und dann war da noch die Oralsexszene, die auch sehr verstörend für mich war, obwohl wir einen künstlichen Penis verwendet haben. Aber – auch wenn sich das jetzt komisch anhört – wir hatten auch Spaß dabei. Schließlich tun wir nur so, als ob.

Können Sie bei Sexszenen die Menschen um sich herum einfach so vergessen?
Wir hatten ein geschlossenes Set. Das bedeutet, dass nur wenige Menschen Zutritt zu den Dreharbeiten hatten. Diejenigen, die dabei waren, waren respektvoll. Natürlich fühlt man sich nicht in jeder Einstellung in seinem Körper wohl. Respekt hilft da sehr.

Warum sind Sie vor der Kamera so furchtlos?
Das bin ich nicht. Ich habe sogar viel Angst. Aber meine Motivation war, mit Lars zu arbeiten. Es hat mich gereizt, dass es ein sehr intensiver Film ist. Das heißt nicht, dass ich mutig bin. Ich war sogar sehr verängstigt.

Wie findet es Ihr Lebenspartner, dass Sie diese Rolle angenommen haben?
Yvan versteht das. Er arbeitet auch als Regisseur und liebt das Kino genauso wie ich. Er begreift, wohin meine künstlerische Reise geht, und was wir da machen. Und ich hoffe, dass meine Kinder diese Arbeit nicht zu sehr verstört. Denn ich weiß natürlich, dass es für sie peinlich sein könnte. Aber auch ich habe mit meinen Eltern ähnliche Situationen erlebt. Mein Vater hat ständig provoziert, beispielsweise mit dem Lied „Lemon Incest“, das ich mit ihm zusammen aufgenommen habe. Und meine Mutter ließ sich splitternackt für viele Magazine fotografieren.

Provokation hat Tradition in Ihrer Familie. Eine Leidenschaft, die Sie mit Lars von Trier teilen?
Ich glaube, das stimmt. Ich mag es, Kunst mit Provokation zu verbinden. Mein Vater hat mich mit dem Song „Lemon Incest“ einem richtigen Skandal ausgesetzt. Aber ich musste das damals nicht hautnah miterleben, weil ich in einem Internat und deshalb sehr abgeschirmt war. Mein Vater und Lars sind zwar sehr verschieden, aber sie ähneln einander auf eine bestimmte Art und Weise. Diese massive Provokation basiert bei Lars auf großer Schüchternheit und der Tatsache, dass er sich unwohl in seiner Haut fühlt. Bei meinem Vater war das genauso.

Sie sind nicht nur Schauspielerin, sondern auch Musikerin. War es Ihre Idee, dass Sie am Ende von „Nymphomaniac“ den bekannten Folksong „Hey Joe“ von Jimi Hendrix singen?
Lars wollte eigentlich den Originalsong von Hendrix verwenden, aber das klappte nicht. Deswegen war er ziemlich enttäuscht. Er fragte mich, ob ich es nicht einmal mit dem Lied versuchen könnte. Ich war zunächst sehr eingeschüchtert, weil das Lied schon viele große Künstler vor mir gesungen hatten. 

Wie haben sich Ihre Prioritäten im Laufe der Jahre verschoben? Machen Sie lieber Filme oder Musik?
Ich fühle mich beim Film inzwischen sehr zu Hause, das ist meine Welt. Aber wenn ich keine Musik mache, fehlt mir etwas. Ich möchte gern ein weiteres Album aufnehmen, und ich werde alles dafür tun, dass es zustande kommt.

Tipp

„Nymphomaniac“ von Lars von Trier mit Charlotte Gainsbourg läuft am 21. Februar im Kino an (Teil 1), Teil 2 folgt am 4. April.

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