Michael Simon inszeniert „Immer noch Sturm“ im Schauspielhaus Graz ohne viel Widerstand allzu statisch.
Der Titel von Peter Handkes Text verspricht Bewegung: „Immer noch Sturm“. Aber im Grazer Schauspielhaus ist die Inszenierung durch Regisseur Michael Simon trotz beträchtlicher musikalischer Untermalung und symbolbepackter Bühne meist leider nur zum Lüfterl geworden. Streckenweise wirkte die Premiere am Donnerstag, die sich über mehr als drei Stunden hinzog, sogar windstill. Dann wurde dieses wortgewaltige Epos, Handkes melancholische Fantasie über den Widerstand seiner slowenischen Verwandten im Zweiten Weltkrieg, zur Charade.
Von der ironischen Sprachkritik des Originals war wenig zu spüren, die Aufführung blieb viel zu forciert eine Familiensaga kleiner Leute. So wird sie ihm aber nicht gerecht, denn diese komplexe Nostalgie ist an sich packend, sie birgt Sprengstoff. Den sollte man zünden, statt über weite Strecken nur zu referieren oder in platte Gesten zu flüchten.
Die Aufführung beginnt an der Rampe sogar vielversprechend, ehe sich der Vorhang für grob bemalte oder beschriftete Kulissen hebt. Man sieht anfangs ein Apfelbäumchen, eine Bank, ein Boot, Instrumente sonder Zahl, einen Leiterwagen, Bienenstöcke, eine Obstpresse. Hoch türmen sich viele Dinge auf, die im Jaunfeld einst anscheinend zum Alltag gehörten. Und schon wird musiziert, von Ensemblemitgliedern, slowenischen Komparsen, Musikern. Das Ich (Christoph Rothenbuchner als blonde Handke-Imitation mit langen Haaren und Brille) träumt sich seine Verwandten herbei, aus dem angeblich noch schönen Jahr 1936. Er begegnet der Mutter (Seyneb Saleh), deren Brüdern Benjamin (Julius Feldmeier), Valentin (Jan Thümer) und Gregor (Kaspar Locher) sowie ihrer Schwester Ursula (Birgit Stöger) und den Großeltern.
Ein historischer Moment der Stärke
All diese Figuren aber – außer dem Ich – werden auch noch von anderen gespielt, dann leihen ihnen die oben genannten Schauspieler ihre Stimmen oder sogar die Gestalt. Offenbar wollte die Regie zur Distanz, die der Erzähler erzeugt, noch weitere Ferne schaffen. Manchmal setzen sich Darsteller Riesenköpfe aus Pappe auf, oder sie treten als sprechende Schatten hinter ihre Ersatzfiguren. Es wird leicht statisch, wenn so viele Herumstehende den Sentenzen des Dichters lauschen. Stöger und Thümer machen noch den besten Eindruck, während ausgerechnet Handkes Alter Ego blass bleibt.
Was aber sagt uns dieses Ich? Benjamin und Valentin fallen als Soldaten der Wehrmacht, Ursula, die so wie Gregor zu den Partisanen geht, die bitter das angeblich Idyllische sozialkritisch entlarvt, wird von den Nazis zu Tode gefoltert. Die Mutter bekommt von einem deutschen Soldaten ein Kind – nach nur einer Liebesnacht. All das Persönliche wird besprochen vor dem Hintergrund des Partisanenkampfes, des einzigen größeren organisierten Widerstandes gegen das NS-Regime. Der darf am Schluss mit Recht gefeiert werden, singend, klingend und Fahnen schwingend. Die Swastika wandelt sich zur Kärntner Flagge. Da haben die Slowenen ihren historischen Moment der Stärke fast schon wieder versäumt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2014)