"Die Berlinale ist ein Festival für das Publikum, das macht sie so lebendig"

Berlinale, Macondo
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Sudabeh Mortezai hat mit ihrem ersten Spielfilm Österreich im Wettbewerb vertreten. Mit auf dem roten Teppich: der elfjährige Ramasan, der die Hauptrolle spielt.

Ihr erster Spielfilm hat es sofort in den Wettbewerb eines großen internationalen Festivals geschafft. Hat Sie das überrascht?

Sudabeh Mortezai: Es war sehr überraschend. Und es ist für mich auch ganz toll. Man kann beim ersten Spielfilm nicht erwarten, dass so etwas passiert. Es ist nicht nur eine Anerkennung, sondern auch eine Riesenchance für den Film. Auch die anderen Schienen zeigen großartige Arbeiten, aber nur im Wettbewerb wird man groß wahrgenommen. Das ist wunderbar.

Sie kennen Cannes und Venedig und haben früher für die Viennale gearbeitet. Was ist ähnlich, was anders?

Die Stimmung hier bei der Berlinale ist toll. Natürlich ist das ein Riesenbetrieb, ein A-Festival, mit rotem Teppich und Protokoll. Die Viennale kann man damit nicht vergleichen. Aber es gibt eine Parallele: Es sind beides Publikumsfestivals. Auch hier sitzen, wie in Wien, sehr viele kinoliebende Menschen aus der Stadt in den Vorstellungen, nicht nur Akkreditierte. Das macht es lebendig. Cannes und Venedig sind stärker auf die Branche zugeschnitten.

Wie stark inspirieren Sie Arbeiten von Kollegen, die Sie hier sehen?

Ich bin eine passionierte Kinogeherin und schaue sehr gern Filme an, die ich selbst nie machen würde, auch superkommerzielle oder sehr sperrige. Jeder Input beeinflusst: Bücher, Musik, Nachrichten. Wenn ich aber einen Film mache, bin ich sehr stur und folge nur meinem Bauchgefühl. Ohne bewusste Vorbilder und Inspirationen.


Bei der Premiere an Ihrer Seite war der kleine Ramasan. Der Elfjährige spielt die Hauptrolle in Ihrem Film. Vom Asylantenghetto in Simmering in das Blitzlichtgewitter auf dem roten Teppich: Wie erlebt er das?

Der genießt das total. Er ist ja überhaupt nicht schüchtern. Beim Casting war sofort klar, wie facettenreich er ist, tough und zugleich sensibel, dabei sehr selbstbewusst. Für die Berlinale hat er sich bestens vorbereitet, ohne dass ich ihm etwas gesagt hätte. Er wusste genau Bescheid, wie eine Pressekonferenz und ein Photocall ablaufen. Man muss ihm nichts erklären.

Was sagen die Bewohner von Macondo dazu, dass ein Film über ihre Siedlung im internationalen Rampenlicht steht?

Sie sind alle wahnsinnig stolz. Ich bin mit fast allen, die mitgemacht haben, in Kontakt. Sie schreiben E-Mails und posten auf Facebook. Nicht jeder versteht, was so ein Festival bedeutet, aber ein großer Stolz ist bei allen dabei.

Sie mischen in „Macondo“ Spielfilm mit dokumentarischer Form. Wollen Sie dabei bleiben?

Ich habe das Gefühl, dass ich damit meine Arbeitsweise gefunden habe, und große Lust, wieder so zu arbeiten: das Lebendige und Unmittelbare des Dokumentarischen mitnehmen und zugleich die Freiheit haben, zu inszenieren, die Geschichte so zu erzählen, wie man sie erzählen will. Es gibt viele Grenzgänge zwischen Spiel- und Dokumentarfilm. Bei mir muss es schon ein richtiger Spielfilm bleiben, wo sich alles der Geschichte unterordnet.

Ihr Film behandelt ein Thema, das alle Gemüter erregt. Aber er transportiert keine politische Botschaft und wirkt gar nicht didaktisch. Warum verzichten Sie darauf?

Das politische Statement ist schon in der Haltung drinnen, nicht didaktisch zu sein. Was mich stört an der Integrationsdebatte: Wenn über Ausländer und Flüchtlinge geredet wird, sind sie ein „Thema“, ein Objekt. Man redet über sie, aber sie selbst kommen kaum zu Wort. Meine Perspektive ist: emotional mit den Menschen mitgehen, auf die Distanz verzichten, sich wirklich auf diese Protagonisten einlassen. Dann ist automatisch kein Platz mehr für Didaktik und Klischees.

BIOGRAFIE

Geboren wurde Sudabeh Mortezai 1968 in Ludwigsburg. Ihre Kindheit verbrachte sie in Teheran und Wien, wo sie Theater-, Film- und Medienwissenschaften studierte, danach Film an der University of California in Los Angeles.

Durch Dokumentarfilme wurde Mortezai bekannt. „Children of the Prophet“ entstand 2006. „Im Bazar der Geschlechter“ über die schiitische Tradition der Zeitehe fand 2009 internationale Beachtung. Freibeuterfilm

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2014)

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