Das "System Österreich" wird sich gegen Reformen wehren

Das österreichische Mittelmaßprojekt wird erst zu Ende gehen, wenn nicht nur eine Bank, sondern das ganze Land vor dem Bankrott steht.

Matthäus Kattinger, der Wirtschaftskorrespondent der „Neuen Zürcher Zeitung“ in Wien, hat in der Wochenendausgabe der „NZZ“ unter dem Titel „Österreichs Filz als Humus für die Hypo-Pleite“ eine Analyse der aktuellen Situation angeboten, die sich digital wie ein Lauffeuer verbreitet hat.

Kattinger, der das Versagen der unterschiedlichen Institutionen von der Notenbank bis zum Finanzministerium in der Causa Hypo Alpe Adria auflistet und den Grund für dieses Versagen im Filz des intransparenten österreichischen Institutionengefüges sieht, zieht am Ende einen politischen Schluss aus dem wirtschaftlichen Desaster: „Österreich“, schreibt er, „braucht also eine Art zweite Aufklärung.“ Wenn es denn eine zweite wäre, denn „Polemiker meinen, dass das für Österreich ohnedies die erste wäre“. Durchgesetzt müsste sie nicht wie einst gegen absolut regierende Monarchen und die dogmatische Autorität der Kirche werden, sondern „gegen Parteien, Kammern und allzu selbstherrliche Landesfürsten“.

Man kann verstehen, dass sich viele der Empörten, die jetzt die sozialen Netzwerke mit ihrer Wut überschwemmen, in ihrer Forderung nach einer Revolution samt Rücktritt der Regierung, Inhaftierung von amtierenden und ehemaligen Politikern unter Einschluss von Sanktionen, die im österreichischen Strafrecht nicht vorgesehen sind, auf Kattinger und seinen Text berufen.

Es ist aber auch eigenartig, aus zwei Gründen. Erstens: Die Repräsentanten der Wut, die sich hier Bahn bricht und sich hauptsächlich an der Tatsache abarbeitet, dass im Fall einer Anstaltslösung der Steuerzahler zum Handkuss käme, während böse Spekulanten und regierungsnahe Banken ungeschoren davonkämen, sind bislang eher nicht als entschlossene Vertreter einer österreichischen Institutionenreform weg vom Korporatismus hin zu einer offenen Wettbewerbsgesellschaft hervorgetreten.

Zweitens: In der Mehrzahl der Fälle wird die Begeisterung über Kattingers Text mit der Frage verbunden, warum man so etwas in Österreich nicht zu lesen bekomme. Es ist eine rhetorische Frage, und die Antwort wird gleich mitgeliefert: da die österreichischen Medien am Gängelband der Regierung und/oder des Raiffeisen-Konzerns humpeln und deshalb stillhalten müssen.

Daran ist wohl einiges wahr, wenn man bedenkt, dass die österreichische Politik den hiesigen Medienmarkt künstlich beatmet, seit Werner Faymann das Medienanfütterungsprogramm, das er als Wiener Provinzpolitiker ins Leben gerufen hat, als Verkehrsminister und als Bundeskanzler über das ganze Land ausgerollt hat. Wahr ist aber auch, dass in Österreich, namentlich in dieser Zeitung, die Beschreibung der korporatistischen Verknöcherung und der sozialpartnerschaftlich-parteipolitischen Verfilzung durchaus Tradition hat.

Die Sanierung des „Systems Österreich“, die der „NZZ“-Korrespondent zu Recht als einzige akzeptable Konsequenz aus der Hypo-Katastrophe fordert, wurde von den Profiteuren der gegenwärtigen Intransparenz immer mit Erfolg abgewehrt. Man konnte sich darauf berufen, dass die hiesige „Konsensdemokratie“, wie man das Kartell der Inkompetenz euphemistisch zu nennen pflegt, zwar möglicherweise nicht allen Regeln der akademischen Institutionenkunst entspreche, aber die Grundlage unseres weltweit doch bemerkenswerten Wohlstands sei.

Man wird sehen, ob 19 Milliarden Euro Schaden ausreichen, damit aus der angeblichen Erfolgsbilanz des Filzes in der Wahrnehmung breiterer Schichten jener politisch-institutionelle Sanierungsfall wird, den Matthäus Kattinger am Wochenende in schweizerischer Präzision und Nüchternheit beschrieben hat.

Meine Prognose lautet: Nein. Das österreichische Mittelmaßprojekt, das mit der Regierungsspitze Faymann/Spindelegger seine Fleischwerdung erlebt hat, wird erst zu Ende gehen, wenn nicht eine Bank, sondern die ganze Republik vor dem Bankrott steht.

E-Mails an:office@michaelfleischhacker.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2014)

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