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Left Boy - Der Bub greift nach den Sternen

Left Boy
Left Boy(c) Wikipedia / Arne Müseler / arne-mueseler.de
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Der Wiener Ferdinand Sarnitz hat sein erstes reguläres Album herausgebracht. „Permanent Midnight“ zeigt: Er mag ein Blender sein, aber er ist blendend. Und klug.

Ein strammer Marsch, begleitet von zackigen Rufen, eine Fanfare: Es ist nicht zu überhören, hier zieht ein Held ein. Der sich auch geflissentlich vorstellt: „Left Boy's coming, Left Boy's coming, one man army, one boy drumming.“ Kein anderer hat einen solchen Hüftschwung („swagger“, ein Wort aus den Sixties, das der Hip-Hop wiederentdeckt hat), trägt so hautenge Hosen, in die die Kreditkarten gerade noch hineinpassen. Geld, das ist für ihn überhaupt kein Problem: „Money ain't a thing 'cause I got that.“ Und er hat's nicht nur mit den Frauen, den „bitches“, wie man nonchalant in der großen Hip-Hop-Welt sagt, sondern auch mit der Kunst: Warhol an der Wand, Monets dazu...

Was für eine Prahlerei! Ferdinand Sarnitz vulgo Left Boy trägt dick auf in dieser Nummer, der letzten seines Albums „Permanent Midnight“. Er variiert damit Klischees, die den Hip-Hop seit seinen Anfängen prägen und die spätestens seit Gangsta-Rap – in den späten Achtzigern – von leichter bis heftiger Selbstironie durchzogen sind. Und durch die dauernden Zweifel, ob die Protagonisten wirklich so harte, von Kugeln durchsiebte Typen sind, wie sie tun.

André Hellers Sohn, na und?

Es war ein weißer Rapper aus ärmsten Verhältnissen, der das Genre brach: Wenn Marshall Bruce Mathers III vulgo Eminem, auch bekannt als Slim Shady, seine Fantasien von Dominanz und Gewalt in seinen Texten auslebte, hörte man schon an der hohen, brüchigen Stimme: Dieser Bursche ist in Wahrheit das, was man im heutigen deutschen Jugendslang ein Opfer nennt. Eminem war auch der Erste unter den erfolgreichen Rappern, der seine psychischen Verletzungen, vor allem das grauenhafte Verhältnis zu seiner Mutter, zum Thema machte.

Wie Eminem hat Sarnitz eine weiche, hohe, bisweilen leicht weinerliche Stimme. Und er bricht die Hip-Hop-Klischees abermals: Er ist kein brutaler Emporkömmling und auch kein Möchtegern-Härtling, sondern ein „rich kid“, das sich seine libidinösen Wünsche freizügig erfüllen kann, nicht weil er durch Drogen-, Frauen- und Waffenhandel zu Geld gekommen ist, sondern weil er, wie die Amerikaner sagen, mit einem silbernen Löffel im Mund geboren ist. Als Sohn des Multiartisten André Heller, dem er im Booklet des Albums herzlich dankt. Aber, natürlich, er hat's auch nicht leicht. „Mom, I'm scared“, singt er, den Tränen nahe, in „Star“: „Daddy, I'm scared, I can feel the pressure building up... 'cause I need to be the star they're expecting to see.“

Seine Sorgen möchte man haben! Das sind Fladenzores, würde man mit einem Ausdruck aus der „Tante Jolesch“ sagen – wenn Sarnitz nicht so bewusst mit dem immanenten Vorwurf kokettieren würde, dass er ein verwöhnter Bub sei. Und so geschickt, auch in seinem Umgang mit der Popgeschichte, aus der er sich nicht nur mit oft verblüffend uncoolen Samples bedient. In „Star“ kultiviert er sogar ein Schluchzen, das an David Bowie auf „Ziggy Stardust“ erinnert: Left Boy weiß Bescheid um seine Rolle, und er spielt sie gut; er ist klug, er weiß, dass wir immer spielen, auch im Ernst.

Manche werfen ihm nun vor, dass er einen Hype bastle, dass er hochstaple, dass er mit internationalem Erfolg hausiere, der sich noch gar nicht in dem behaupteten Maß eingestellt habe. Wer ihn je live in Wien gesehen hat, weiß, dass er zumindest hier über eine junge Anhängerschaft verfügt, die ihn ganz sicher nicht wegen seines Vaters schätzt. Und die YouTube-Clicks sind wohl auch nicht manipuliert. Aber selbst wenn etwas daran wahr sein sollte: Der Vorwurf trifft nicht. Pop war immer (auch) eine Kunst der Anmaßung, des frechen Greifens nach den Sternen. Nein, im Pop muss man sich nicht strebsam bemühen, muss sich nicht brav und bieder hinaufarbeiten. Man darf sich hinstellen und mit den Beatles rufen: „To the toppermost of poppermost!“ Hier bin ich, ich will ein Star sein, ich bin ein Star!

Angst vor der Überwältigung

Sarnitz ruft das. Aber er tut's nicht plump. Er ist – wenn er nicht allzu offensichtlich in Hip-Hop-Stereotypen schwimmt – ein Meister der Zwischentöne, der unsicheren Gefühle. In „Black Dress“ etwa, in dem er, zu zerrissenen Beats, die Reize einer Frau preist, so expressiv, so atemlos, dass man die Angst vor der erotischen Überwältigung spürt: „You made a mess of me“, singt er, „and it's fucking wonderful.“ Oder in „That's How Much“, in dem er aus dem Kitschrock-Refrain von „How Much I Feel“ (Ambrosia, 1978) eine zitternde Orgie der Angeberei und ihrer Selbstentlarvung baut: Jay-Z und Beoncé kommen auch zur Geburtstagsparty, verspricht er fast schon hysterisch seiner Angebeteten, während die Siebziger-Synthesizer schon bedrohlich käsig werden, und man hört genau, wie seltsam er sich dabei vorkommt. Er, der Left Boy, der er ach so gern sein möchte und doch nicht sein möchte: ein blendender Blender.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2014)

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