Neue Seiten zum Denken

Zeitschriften
ZeitschriftenMichaela Bruckberger
  • Drucken

Von wegen Printkrise. Auch und gerade im Zeitalter des Internets wächst der deutschsprachige Magazinmarkt. Gerade sind die Themen Philosophie, Debatte und Zeitgeist besonders populär. Start der Magazin-Vorstell-Serie. Teil I: Philosophie

The European

1. Worum geht es? Was steht drin?

Es ist zumindest erstaunlich, wenn ein Onlinemagazin sich entschließt, doch wieder ein gedrucktes Heft auf den Markt zu bringen. Das Debattenportal „The European“ entschloss sich 2012 im dritten Jahr seines Bestehens zu diesem Schritt. Chefredakteur Alexander Görlach schrieb im Editorial der ersten Ausgabe: „Print lebt.“ Dabei ging es den Magazinmachern wohl auch darum, einen Lebensstil zu kultivieren. Nur das gedruckte Heft könne man auf den Nachttisch legen oder im Rucksack verstauen – und immer wieder herausholen, um einen Text zu lesen.

2. Wer soll das lesen?

Die Zielgruppe von „European“ ist schwer zu umschreiben. Während im zweisprachigen (Deutsch/Englisch) Onlineportal alles und jeder zu Wort kommen darf, versucht das Printmagazin einen Schwerpunkt zu setzen. In Ausgabe eins war das etwa das Leben in 100 Jahren. Das Magazin gibt online immer noch die US-Version der Huffington Post als Partner an, dabei ist die im Oktober 2013 gestartete deutsche HuffPo mittlerweile wohl großer Konkurrent. Noch größerer Feind am Kiosk ist freilich das weitaus länger bestehende Magazin „Cicero“.

3. Ist bisher aufgefallen ...

Aufgefallen? Ist das gedruckte „European“ bisher kaum. Dafür veranstaltet das Onlineportal gerade so etwas wie Matussek-Wochen. In einem langen Interview durfte der ehemalige Kulturchef des „Spiegel“ nach seinem Abgang vom Wochenmagazin über seine Ex-Kollegen herziehen. Nun bedankt er sich mit einer Anti-Homosexuellen-Polemik. „European“-Chef Alexander Görlach und andere antworten darauf, die Fachpresse zitiert und erfreut sich an Matusseks Rülpsern. Das hat nicht wirklich Tiefgang, bringt aber Aufmerksamkeit (doch wieder) im Netz.

Die Epilog

1. Worum geht es? Was steht drin?

Auch dieses Heft hievt gern eine Frage auf die Titelseite, auch dieses Heft will den Lesern beim Denken helfen. Dabei stehen die Texte hier mitunter schon einmal Kopf, wie die „Theorieschnipsel“, die als Trenner zwischen den vier Heftteilen dienen. In der aktuellen Ausgabe zum Thema „Protest“ (Die dazugehörige Frage: „Brauchen wir den Aufstand?“) ist das etwa die Analyse von Niklas Luhmanns Behauptung, Protest sei dumm. Es folgen Texte über die Proteste in der Türkei, einen Mann, die Netzaktivisten Anonymous und den Zustimmungszwang bei Facebook.

2. Wer soll das lesen?

Die Frage lässt sich genauso beantworten wie bei allen hier angeführten Magazinen. Deswegen soll hier mehr über die Macher dahinter verraten werden: Vier Endzwanziger aus Berlin beschlossen im Sommer 2013, dieses Heft mit einer Auflage von 10.000 Stück herauszubringen. Jede Ausgabe ist monothematisch. Das Motto des Magazins beschrieb Chefredakteur Fabian Ebeling so: „Recomplicate your life – die Welt ist aufregender, wenn man sie sich nicht zu einfach macht.“ Das Heft erinnert an eine ernstere Version des ebenfalls monothematischen „Dummy“.

3. Ist bisher aufgefallen...

Am Kiosk übersieht man es fast ein wenig. Meist haben die Mitarbeiter in der Zeitschriftenabteilung großer Buchhandlungen auch noch nie davon gehört. Deshalb haben es neue Magazine wie das „Epilog“ meist ein wenig schwer beim Start. Nach bisher drei Ausgaben (u.a. auch zum Thema Zauberei) gab es auch noch zu wenig Möglichkeiten, um aufzufallen. Doch passend zum Thema der Debütausgabe „Nicht resignieren! Irgendwas geht immer“ machen die Magazinmacher Mut, indem sie einfach selbst das Medium gründen, für das sie gern schreiben wollen.

The Germans

erscheint: alle zwei Monate
kostet: 5,50 Euro
hat: unter 100 Seiten

The Germans

1. Worum geht es? Was steht drin?

„Warum Frauen immer noch in der Erklärungsfalle sitzen.“ „Was jetzt glücklich macht.“ „Hört auf, perfekt sein zu wollen.“ Meinung, Zeitgeist und Hintergrund (so steht es im Titel) rund um die Themen Familie, Arbeit, Bildung und Internet liefert das Magazin „The Germans“ seit 2012. Chefredakteurin Nicole Zepter, deren Kulturkritik „Kunst hassen“ 2013 erschien, mischt Meinungstexte mit langen Lesestücken zu Themen aus Deutschland und der Welt. „Die Zeit“ schrieb darüber: „Ein Argumentationswerkzeug für den Abend im Bio-Regio-Restaurant“. Trauriger Einschub: Anfang 2014 gab Zepter auf der Facebook-Seite von "The Germans" bekannt, dass das Heft vorerst Pause mache. Es fehlten die Anzeigen und genügend Abonennten. Wir hoffen: Die Pause ist bald zu Ende.

2. Wer soll das lesen?

Die Worte „Urban Creative Group“ sind wie der sperrige Zugangsschranken zu diesem Magazin: Wer weiß, was damit gemeint ist, sich gar als Teil dieser Gruppe fühlt, wird gern zu „The Germans“ greifen. Das gesellschaftspolitische Magazin will eine Lücke schließen zwischen Heften wie „Dummy“, „Monopol“ oder „Cicero“. Kurz gesagt: Es ist wie die erwachsenere Variante von „Neon“. Oder, um den Vergleich mit heimischen Magazinen zu bemühen: ein bisschen politischer als „Fleisch“, ein bisschen zeitgeistiger als „Datum“.

3. Ist bisher aufgefallen...

Erstmals richtig aufgefallen ist das Heft im vergangenen Herbst mit der Titelgeschichte „Ich liebe mein Kind. Ich hasse mein Leben“. Die Autorin Stefanie Lohaus beschrieb darin die zunehmende Überforderung junger Eltern und das neue Jammern über das Elterndasein. Mit etwas Verzögerung löste dieser Text eine Debatte aus, die im Winter in den Feuilletons von „FAZ“ und „Zeit“ sehr emotional geführt wurde. Etwas befremdlich war dabei nur, dass die Geschichte von einer Modestrecke einer jungen Frau mit nacktem Baby begleitet wurde.

Hohe Luft

erscheint: zweimonatlich
kostet: 9,30 Euro
hat: gut 100 Seiten

Hohe Luft

1. Was steht drin? Worum geht es ?

Nach der Psychologie entdeckt die Magazinwelt nun die Philosophie. Beinahe zeitgleich kamen im November 2011 „Philosophie“ und „Hohe Luft“ auf den Markt. Der Name ist nicht nur metaphorisch gemeint, sondern spielt auch auf den Hamburger Stadtteil an, in dem der Verlag Inspiring Network seinen Sitz hat. Mit Titelgeschichten wie „Schluss mit dem Bullshit“ oder „Was ist guter Sex?“ kommt das Heft etwas schräger und gewagter daher als der Konkurrent. Gleich ist ihnen die Lust am (manchmal platten) Fragenstellen: Was ist ein guter Vergleich? Muss Strafe sein?

2. Wer soll das lesen?

Schon der Name „Hohe Luft“ verrät, wer es lesen soll: Menschen, die sich abseits der täglichen Nachrichten mit Grundfragen des Daseins auseinandersetzen. „Bin ich echt?“ „Müssen wir eigentlich immer?“ Die Texte sind angenehm unesoterisch, nur selten auf der Hand liegend (wie etwa Texte über Stress oder das Netz). Es gibt keine Tests, stattdessen viele Tipps zur vertiefenden Lektüre. Philosophen wie Heidegger werden etwas gar knapp erklärt. Und ganz ohne Prominente geht es auch nicht: Auf der letzten Seite beantworten Berühmte eine „philosophische Frage“.

3. Ist bisher aufgefallen...

Der beste Gradmesser für Erfolg sind Leserzahlen und Mundpropaganda. Das Magazin hat sich in knapp zwei Jahren eine treue und immer größer werdende Fangemeinde erobert. Mittlerweile erscheint das Heft in einer Auflage von 70.000 Stück, was angesichts der Größe des deutschen Lesermarktes immer noch als Geheimtipp durchgeht. Die Strategie des Heftes zielt ähnlich wie bei „Philosophie“ auf das Nicht-Provozieren ab. Auffallend oft sind unter den Autoren, Fotografen und Grafikern auch solche aus Österreich zu finden. Kein Wunder, erklärte uns ein Leser spitz: Chefredakteur Thomas Vašek ist Österreicher.

Philosophie Magazin

1. Worum geht es? Was steht drin?

Das „Philosophie Magazin“ ist eine für philosophieinteressierte Frauen wie Männer, schmackhafte, bisweilen auch für die Psyche gesunde Kost: Lebenshilfe auf höherem Niveau, für alle, denen die Philosophie näher steht als Psychologie oder Religion. Es hat aber auch etwas von verlässlicher bildungsbürgerlicher Nachhilfe, ohne Verstaubtheit; Kurzweiliges, Gewitztes, Überraschendes und „schwere Kost“ wechseln sich ab. Und dank der durchgehenden Anbindung an die (auch sehr konkreten) kleinen Fragen des Lebens hat es Potenzial für ein größeres Publikum.

2. Wer soll das lesen?

„Zerstreut euch!“, ruft Chefredakteur Wolfram Eilenberger am Beginn des neuen Heftes, nur so entstehe Wichtiges – Einsteins Frisur gleiche „aus höherem Grund“ einer Pusteblume. Zu den Stärken des „Philosophie Magazins“ gehören Dossiers, in denen aktuelle, lebensnahe Fragen philosophisch vertieft werden, lange Beiträge von und Interviews mit interessanten Persönlichkeiten aus aller Welt, Quergedachtes zu kleinen Fragen des Leben(salltags) und andere flott auflockernde Elemente wie „Tomi Ungerer erklärt Kindern die Welt“.

3. Ist bisher aufgefallen...

Manchmal ist es ein gutes Zeichen, wenn ein Medium nicht in die Schlagzeilen kommt. Keiner der bisherigen „Titel“ hat bisher groß für Debatten gesorgt, das liegt in der Natur des Magazins, das zwar durchaus Positionen zuspitzt (oder solchen ein Forum gibt), aber nicht effekthascherisch ist und Themenkomplexe von vielen Seiten beleuchtet. Auch die Titelstrategie („Entscheidet der Zufall mein Leben?“, „Sind wir dafür geschaffen, in Paaren zu leben?“) ist nicht zu provozieren, sondern Neugier und Bedürfnis nach Orientierung anzusprechen.

Ergänzt und korrigiert am 1. Juni 2014.

Die Presse

Philosophie

erscheint: alle zwei Monate
kostet: 7 Euro
hat: gute 100 Seiten

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.